Sehnsüchtig (German Edition)
heutiger Studiogast? Gratuliere.“
„Danke.“ Es klingt etwas sarkastisch. „Ich habe leider erst nachher Zeit, könntest du mit dem Bus rauskommen und wir treffen uns um halb acht beim Seitenausgang bei den Besucherparkplätzen? Ich muss nach der Sendung noch an dieses Champagnerschlürfen, aber ich hau so schnell ab wie ich kann.“
Komm doch einfach zu mir, liegt ihr auf der Zunge, aber sie lässt es bleiben. „Halb acht beim Seiteneingang. Okay.“ Sie blickt auf ihre Armbanduhr. Es ist noch nicht mal neun. Der Abend scheint unendlich weit weg zu sein.
„Gut, danke. Bis später.“
„Bis später“, sagt sie aber er hat schon aufgelegt.
*
Sie macht die Änderungen am Booklet fertig. Danach kontrolliert sie noch einmal jede Illustration und jedes Wort, betrachtet mit einem Ziehen in der Brust die Zeichnungen, welche die letzten Monate ihr Leben dominiert haben. Zu jedem Song eine Illustration. Bei ‚Candy’ fallen überdimensionale Bonbons vom Himmel, die Menschen schauen mit Angst auf den Gesichtern hinauf, die Bonbons drohen sie zu erschlagen, sie sind riesig und erinnern an Bomben.
Das Booklet ist farbenfroh, die Zeichnungen düster, passend zum Sound. Sie ist stolz darauf. Es ist wahrscheinlich das Beste, was sie je gemacht hat. Jede Linie mit Liebe gezogen, jeder Buchstaben mit Liebe gesetzt. Ich liebe dich. Und wie auch immer es herauskommt, ich hoffe, das Booklet wird dich immer daran erinnern. Ich hoffe, du denkst jedes Mal an mich, wenn du es ansiehst. Ich will dich nicht verlieren. Ich weiss nicht, wie ich das aushalten soll.
Alys lädt die Files auf den Server und ruft in der Druckerei an, überprüft mit dem Angestellten, ob er alle Dateien auf dem FTP-Server erhalten hat und öffnen kann. Es ist alles in Ordnung. Und es ist erst 15 Uhr. Alys hält es nicht länger in der Wohnung aus. Sie schlüpft in die Jacke und flieht in die Stadt. Sie geht bei ihrem Friseur vorbei und sie hat Glück, sie arbeiten nur ohne Voranmeldung, und es ist gerade eine Coiffeuse frei. Sie blättert in der aktuellen Gala. Die Hochglanzillustrierte befasst sich mit dem bevorstehenden ersten Hochzeitstag von ‚Catherine’ Kate und Prinz William und fragt sich, wann das Paar endlich bekannt gebe, das ein königlicher Spross unterwegs sei. Alys trinkt den Kaffee, der im Preis für einen Haarschnitt enthalten ist und versucht, sich bei der Kopfmassage zu entspannen. Später kommt sie aus dem Salon, Pony und Spitzen frisch geschnitten, sorgfältig geglättet, neue Farbe, ein schokoladefarbener Schimmer in ihrem Naturbraun. Andere Frauen essen Schokolade bei Liebeskummer, du färbst dir die Haare. An einem anderen Tag hätte dieser Gedanke sie zum Lächeln gebracht. Es ist immer noch lange nicht 19.30 Uhr, also geht sie zu H&M und dann zu VeroModa und bringt ihre Bankkarte zum Glühen. Im Schuhladen ihres Vertrauens versucht sie den Kummer mit einem paar Ankle Boots zu kompensieren. Sie sind blau und die Absätze eigentlich zu hoch für ihren Geschmack, mehr etwas für Mascha. Sie wirft einen Blick auf den Preis und schluckt, stellt sie dann entschlossen auf den Verkaufstresen. Fuck it.
Es ist 18 Uhr und sie hat keine Lust, sich mit den vielen Feierabendpendlern in den Bus zu quetschen, also geht sie zu Fuss nach Hause. Der Märzabend ist kalt auf ihrem Gesicht, aber irgendwie tut die Kälte gut. Ein paar hundert Meter von ihrem Haus entfernt in einer Querstrasse hat es eine Garage. Ein Auto fällt ihr ins Auge. Alys bleibt stehen. Dann geht sie näher und um den Wagen herum. „Zu verkaufen“ steht in der Windschutzscheibe. Sie berührt mit der Daumenkuppe den dunkelvioletten Lack, das Auto glänzt vielversprechend, sie kann ihr eigenes Gesicht darin sehen. „Gefällt er Ihnen?“, hört sie hinter sich. „Ja“, sagt sie unwillkürlich und dreht sich nach der Stimme um. Der Inhaber der Garage ist hinter ihr aufgetaucht, ein Kleinbetrieb wohl. Er trägt keinen Anzug und keine frisch polierten Schuhe, kein Autohändler wie man ihn sich vorstellen würde. Er dürfte im Alter ihrer Eltern sein und der grüne Motorex-Overall spannt ein wenig um seine Mitte. Ölflecken schimmern darauf. Sein Lächeln erinnert sie an ihren Grossvater, der vor fünf Jahren gestorben ist.
„Ich mag diese alten Saab 900“, sagt sie. „Eine Autokennerin“, sagt er. Sie winkt ab. „Mein Vater hat ein Faible für schöne alte Wagen, vielleicht habe ich es geerbt. Aber ich verstehe nichts von der Technik. Hauptsache, das
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