Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
Vom Netzwerk:
Wolf war mir schon ein Begriff, ohne dass ich ihn je gesehen hatte. Sie sagte: »Der ist klug, sag ich dir, der weiß was, der kennt viele Gedichte!«
    GW     Meine Begabung war ganz einseitig. In Mathe bin ich gerade so mit Vier durchgerutscht.
    JS     Das hat sich auf deine Enkelin übertragen.
    CW     Jedenfalls, als er schließlich kam, ging ich gerade die Treppe zur Mensa hoch, und vor mir lief diese Kommilitonin mit ihm. Sie drehte sich um: »Du, guck mal, der Gerd ist gekommen.« Dann stellte sie uns gegenseitig vor. Und da funkte was …
    GW     Ja? Bei mir erst später.
    CW     Bei mir sofort. Die Augen, dieser Blick. Er sah ja verboten aus. Ich übrigens auch. Er hatte aus gefärbten Uniformstücken zusammengesetzte Sachen an. Das Schlimmste aber war später sein Mantel, als es Winter wurde, so ein furchtbar gefärbter SA -Mantel seines Vaters. Wir liefen damals alle so herum. Ich trug einen weißen Mantel, der war aus einer Krankenhausdecke geschneidert worden. Ich musste den Schriftzug Beobachtungskrankenhaus Lankow abschneiden. Dadurch war der Mantel sehr kurz geworden …
    Für einen Augenblick hält meine Großmutter inne, sie blickt zu meinem Großvater.
    CW     Ich habe diese erste Begegnung immer in Erinnerung behalten, sehe sie vor mir.
    GW     Wir haben zusammen den Kulturbund gemacht.
    JS     Moment, wie seid ihr zusammengekommen?
    CW     Wir besuchten zusammen ein Seminar und saßen danach oft lange in der Uni und lasen. Meist waren wir die Letzten, die abends um neun oder zehn die Bücher weglegten. Damals lasen wir gerade den gesamten Gerhart Hauptmann. Eines Abends begleitete mich Gerd dann nach Hause. Ich wohnte am anderen Ende der Stadt, auf dem anderen Ufer der Saale, in einem winzigen Stübchen mit Kanonenofen. Dorthin hat er mich bei klirrender Kälte, über die gefrorene Saale hinweg, gebracht. Danach musste er den ganzen Weg wieder zurücklaufen zu seinem Zimmer bei der Witwe Specht.
    JS     Da hattest du aber auch schon Interesse, Opa!
    GW     Na sicher. Die Begegnung auf der Treppe war es aber nicht.
    CW     Weißt du nicht mehr, wann oder wie?
    GW     Nein, ich weiß nicht mehr ganz genau, wie es anfing. Wir haben uns unheimlich viel gestritten, und da hieß es: Die streiten sich so viel, die sind verliebt.
    JS     Worüber habt ihr gestritten?
    CW     Über alles, das Leben, die Liebe, die Politik, die Partei, darüber, was wir gelesen hatten. Ich musste mich immer gegen ihn behaupten.
    GW     Christa musste dann ihre Selbständigkeit und Jungfräulichkeit aufgeben. Da gab es große Konflikte. Weißt du noch, einmal besuchten wir deine Freundin Nora. Die sagte: »Der passt ja gar nicht zu dir!« Du hast sehr viel geweint in dieser Zeit.
    CW     Weil ich mir nicht sicher war, ob Gerd wirklich der Richtige ist. Wenn ich mich einmal für ihn entschieden hatte, war das für immer. Das war selbstverständlich, darum war es so schwer.
    GW     Christas Mutter sagte: »Der hat Magenkrebs, der sieht ja aus wie ein KZ ler!« Ich war keine glänzende Erscheinung!
    CW     Er sah so mager und hohlwangig aus.
    GW     Es müssen also andere Fähigkeiten gewesen sein, die dich überzeugt haben.
    CW     Gerd roch gut. Die Seife, die er verwendete …
    GW     Hatten wir damals überhaupt Seife?
    CW     Doch!
    JS     Und warum hast du dich schließlich für ihn entschieden?
    GW     Na, Annettchen war schon bald unterwegs …
    CW     … zunächst mussten wir einmal zusammenziehen.
    GW     Das war schön. Die Witwe Specht, bei der ich oben im Dachstübchen wohnte, hatte noch ein Zimmer, da stand kein Ofen drin. Das konnte sie nicht vermieten.
    CW     Da habe ich mir gesagt, so geht es nicht weiter. Dass Gerd immer, wenn er nicht bei mir übernachten mochte, den ganzen Weg zurücklaufen muss. Ich sagte, ich sehe zu, dass ich dieses unvermietbare Zimmer bei der Witwe Specht kriege. Wir gingen zum Wohnungsamt und servierten unser Anliegen dem Beamten mundgerecht, dass er kein neues Zimmer weggeben müsse, weil dieses als unvermietbar gelte. Da gab er mir die Zuweisung, ich bin damit zur Witwe Specht und sagte: »Ihr Zimmer ist beschlagnahmt. Sie müssen das jetzt vermieten!« Sie meinte: »Wollen Sie denn wirklich darin wohnen, das ist doch ganz kalt.« Gott sei Dank war sie fast taub. Gerd half mir beim Umzug. Erst als die Witwe Specht uns zusammen sah, fiel bei ihr der Groschen. Als sie

Weitere Kostenlose Bücher