Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Schriftstellerverband, Oma?
CW Ich hatte meine Abschlussarbeit über den Realismus in dem Werk Hans Falladas geschrieben und mein Examen 1953 bei dem bekannten Literaturwissenschaftler Hans Mayer 40 gemacht. Da war er auf mich aufmerksam geworden und bot mir an, als Assistentin bei ihm anzufangen. Das wollte ich aber nicht. Das war ein ziemlicher Klüngel. Außerdem interessierte mich die Gegenwartsliteratur. Dafür war der Schriftstellerverband das Richtige. Über einen Kollegen, der mit KuBa 41 befreundet war, dem damaligen Ersten Sekretär des Verbandes, bewarb ich mich dort und wurde genommen, als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Übrigens arbeitete Heiner Müller 42 damals auch dort.
GW Nun konnte Christa junge Autoren anleiten.
CW Es gab Arbeitsgemeinschaften junger Autoren. Wir fuhren zu ihnen und erklärten ihnen, wie sie schreiben sollten.
JS Du hattest zu dem Zeitpunkt doch kaum etwas geschrieben. Wie konntest du schon junge Autoren anleiten? Oder lief das sehr dogmatisch ab?
CW Dogmatisch war ich wahrscheinlich nicht, aber sozialistisch-realistisch schon und vor allem lebensfremd. Nach Lukács wusste man genau, wie ein Roman auszusehen hatte und wie sich die Figuren darin zu verhalten hatten. Der Parteisekretär durfte zum Beispiel nicht fremdgehen. Das war nur eine kurze Zeit, über die wir bald lachten, aber damals nahmen wir das alles sehr ernst und diskutierten unheimlich viel darüber.
JS Gab es auch Leute, die sagten: Das ist alles Quatsch!
GW Sicher gab es die, die waren aber nicht in unserem Umfeld. Zum Teil gingen die in den Westen.
CW Weißte, Jana, das bleibt immer noch alles sehr pauschal, auch wenn wir Einzelheiten erzählen. Über die Studienzeit und über die Lehre gäbe es noch viel zu berichten. Georg Lukács war der Lehrer, die jüngeren Dozenten waren völlig in dessen Geist erzogen und haben das auf uns übertragen. Wir übernahmen den Realismusbegriff von Lukács und stritten mit den bürgerlichen Studenten um die Begriffe.
JS Wer waren die bürgerlichen Studenten für euch?
GW Diejenigen, die nicht in der Partei waren.
JS Aber ihr stammt doch auch nicht aus der Arbeiterklasse! Und konntet deshalb nicht einfach studieren. Da hätte ich doch gedacht: Was ist das denn für ein Unsinn?
GW Wieso? Jahrhundertelang wurden die Arbeiter unterdrückt. Nun gab es Arbeiter- und Bauern-Fakultäten. Die waren gar nicht schlecht.
CW Man fand, das ist ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit.
GW Das hat man eingesehen. Jetzt sind erst einmal die dran.
JS Da nahm man sich selbst zurück!
CW / GW Ja!
GW »Klassenbewusst« war das Beste, »klassenverbunden« schon weniger.
CW Über solche Begriffe konnte man sich stunden- und nächtelang streiten. Oft lagen wir nachts zu Hause im Bett und unterhielten uns über Politik und Partei, allerdings mit zunehmend kritischem Akzent. Manches hat uns sehr befremdet, und wir versuchten, uns gegenseitig und anderen einzureden, dass das so sein müsse, weil wir kleinbürgerlicher Herkunft seien und das vielleicht nicht richtig verstünden.
JS Was hat euch befremdet?
CW Zum Beispiel die erste Wahl zur Volkskammer in Jena 1950 . Da traten die Parteien schon im Block auf, konnten aber noch einzeln gewählt werden. In manchen Bezirken in Jena hatte, glaube ich, die CDU damals noch die Mehrheit. Wir waren Wahlhelfer, zogen von Tür zu Tür und überzeugten die Menschen, wählen zu gehen. Als wir dann selbst ins Wahllokal kamen, suchten wir nach der Wahlkabine, es gab aber keine, nicht mal pro forma. Wir waren völlig irritiert.
GW Die Menschen sollten eingeschüchtert werden, dass sie nicht das falsche Kreuzchen setzten.
CW Man sagte uns dort: Na, Sie sind doch sicher für die Kandidaten der Nationalen Front, dann brauchen Sie den Zettel nur zusammenfalten und reinstecken. Wir sind danach in die Berge spazieren gegangen und haben uns den ganzen Nachmittag gefragt: Soll es das nun sein? Die haben uns doch betrogen, wir haben uns doch als Wahlhelfer für demokratische Wahlen beworben. Das war uns nicht gesagt worden. Das war der erste Punkt, an dem wir merkten: Mensch, da stimmt was nicht! Als wir darüber innerhalb der Studentenschaft diskutierten, wurde uns gesagt, wir hätten keinen richtigen Klassenstandpunkt. Das sei der Klassenkampf, die bürgerlichen Parteien müssten
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