Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
einmal Gerds Tür öffnete und ich in seinem Bett lag, war das der letzte Hinweis. Das war 1950 .
JS Das ging ja alles ziemlich schnell!
CW Na, wir waren auch schon nicht mehr jung mit 20 oder 21 . Das war sehr schön. 1952 wurde dann Annette geboren.
GW Wann haben wir uns verlobt?
CW 1950 ! Nee, 51 ! Nee, 50 !
JS Deine Eltern, Oma, waren doch gegen eure Beziehung gewesen?
CW Zuerst, dann nicht mehr. Meine Mutter war entsetzt darüber, dass ich mich einem Mann hingegeben hatte, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Wir verlobten uns, und dann gab es diesen »entsetzlichen Vorfall«, dass das Kind schon vor der Hochzeit unterwegs war. Ich ging zum Arzt und sagte, ich sei schwanger. Der Arzt sagte: »Na, Sie sind doch gar nicht verheiratet!« Ich: »Na und?« Er: »Da haben Sie allerdings recht.« Er war heilfroh, dass ich nicht irgendwas von ihm verlangte. Nun bekamen wir also ein Kind und besprachen, was wir machen sollten. Erst einmal heirateten wir im Juli 1951 . Wir hatten natürlich kein Geld. Ich bekam hundert Mark Studienbeihilfe. Unsere Eltern hatten nichts, sie waren Flüchtlinge. Da machte sich Gerd auf den Weg und kam über eine Freundin beim Rundfunk unter.
GW Die hatten damals kaum Leute. Der Intendant beim Rundfunk in Leipzig war ein ehemaliger KZ -Häftling, der Cheflektor hatte im Zuchthaus gesessen. Zwei, drei Leute, die wie ich politisch unbelastet waren, wurden Redakteure, und zwei, drei waren Arbeiterkader, wirklich saudumme Genossen. Der eine fragte mich: »Na, wie ist denn das Buch von dem Victor Hugo?« Ich kam mir mit meinen vier Semestern Germanistik-Studium und Georg-Lukács-Lektüre 38 hochgebildet vor. Als Hilfsredakteur verdiente ich 270 Mark im Monat, und ich lernte gute Autoren kennen.
CW Wenn er eine Sendung machte, bekam er noch einmal 50 Prozent vom Gehalt dazu. Das war die Rettung, dadurch kamen wir über die Runden. Schon bald wurde er nach Berlin versetzt. Das war ein Aufstieg.
GW Da wurde das Rundfunkkomitee 39 gegründet.
JS Und du, Oma, bliebst zu Hause?
CW Nein, ich habe studiert.
GW Ich wollte eigentlich auch weiterstudieren, das ging aber gar nicht.
CW Ich unterbrach nur kurz nach Annettes Geburt das Studium, legte mein Examen aber dennoch zu dem Zeitpunkt ab, an dem ich es hätte ablegen sollen.
JS Wie hast du das mit dem Baby geschafft?
CW Ich hatte eine großbusige Kinderfrau, Fräulein Krausche, die war nett und kostete nicht viel. Sie nahm Annette auch mit zu ihrer Familie, wenn ich zu spät nach Hause kam. Mit einem Kind ist es schwierig, wenn man zur Untermiete wohnt und alles in einer fremden Küche kochen muss. Damals konnte von einer Waschmaschine keine Rede sein oder von Babyfläschchen. Und ich lernte bis tief in die Nacht hinein. Als ich endlich das Examen hatte, bekam ich zum ersten Mal Herzbeschwerden. Ich war fertig. Die vorangegangenen anderthalb Jahre waren hart gewesen. Gerd war ja auch nicht da. Er kam alle 14 Tage, da hatte ich keinen Pfennig mehr und wartete, dass er Geld brachte. Er pfiff immer, wenn er kam. Das war unser Signal. Ich lag auf dem Bett und wartete auf den Pfiff.
JS (zu GW ) Und du warst beim Radio.
GW Ja, beim Deutschlandsender. Dort bin ich gleich aufgestiegen, wurde erst Redakteur und dann Redaktionsleiter.
JS Hat dir das Spaß gemacht?
GW Ja, es war sehr interessant. Beim Deutschlandsender ging es noch um eine gemeinsame deutsche Kultur. Der Deutschlandsender machte Riesenpropaganda für die Einheit Deutschlands, was die drüben im Westen gar nicht wollten. Das ging bis 1956 . Die Arbeit war aber auch anstrengend, dann habe ich von 1953 bis 1956 an der Humboldt-Universität fertig studiert und nebenher Sendungen geschrieben.
JS Wolltet ihr damals noch ein vereintes Deutschland?
CW / GW Ja, absolut.
CW Als ich mit dem Studium fertig war, zog ich 1953 auch nach Berlin, wir hatten aber nur ein Zimmerchen. Annette blieb zum Teil bei meiner Mutter. Dann verdiente ich das Geld, war im Schriftstellerverband angestellt. Und Gerd konnte weiterstudieren.
GW Es war sehr schwer, eine Wohnung in Berlin zu finden.
CW In Karlshorst in der Stechlinstraße bezogen wir drei Zimmer illegal. Wenn man eine Zeitlang mit einem Kind dort lebte, wurde man nicht mehr hinausgesetzt.
JS Wie kamst du denn gleich nach dem Studium zum
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