Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
bemerkt. Vor kurzem war ich bei einem Klassentreffen, einer meiner Mitschüler sagte, er habe gedacht, ich würde einmal den Nobelpreis für Naturwissenschaften bekommen. »Hast du eine Meise?«, fragte ich ihn. »Ich habe in Mathe doch immer von euch abgeschrieben.«
JS Du warst auf der Suche nach etwas, das dir Halt geben könnte, das habe ich verstanden. Aber wie kam es nun zu deinem Eintritt in die SED , das ist mir noch ein Rätsel?
CW Ein halbes Jahr zuvor besuchte mich ein enger Freund aus meiner Klasse zu Hause. Ich hatte in Frankenhausen unten im Souterrain ein eigenes Zimmer mit Bad. Er sagte: »Du, ich trete in die Partei ein.« Ich weiß noch, wie ich sagte: »Du musst vollkommen verrückt sein, bist du noch zu retten, zu den Roten in die KP ?« Ich habe sehr mit ihm gerungen. »Dann können wir auch keine Freunde bleiben«, sagte ich zu ihm. »Warum machst du denn das?« Er sagte, er habe viel gelesen, was ihm einleuchte, und wenn man die Theorie richtig fände, sei man verpflichtet, auch in der Praxis etwas dafür zu tun. Kurz bevor ich zur Universität ging, trat ich dann auch ein. Im Grunde aus dem gleichen Antrieb heraus. Ich dachte, an der Uni musst du diese Ideen durchsetzen.
JS An welche Ideen hast du geglaubt?
CW An die Idee der sozialen Gerechtigkeit und an den Antifaschismus, den ich in dieser Partei am stärksten ausgeprägt fand. Später in Berlin lernte ich Menschen kennen, die selbst Antifaschisten und im KZ oder Zuchthaus gewesen waren.
GW Bei mir war der Parteieintritt, wie ich dir schon erzählte, vor allem eine Anti-Eltern-Aktion. Der Freund, mit dem ich eingetreten bin, hatte sich an der Freien Universität in Westberlin beworben. Das war 1949 , kurz nach DDR -Gründung. Er meinte, ich solle zu ihm kommen. Ich war Oberschulhelfer geworden, weil ich kein Arbeiterkind war und deshalb keinen Studienplatz und kein Stipendium bekam. Aber wenn man Oberschulhelfer wurde, hatte man die Garantie, dass man nach zwei Jahren studieren durfte. Ich bewarb mich auch an der FU , und es gab ein Aufnahmegespräch. Ich wurde aber nicht genommen. Dann kriegte ich die versprochene Zulassung aus Jena.
JS Du warst also noch hin- und hergerissen zwischen den Systemen.
CW Gerd wäre auch in den Westen gegangen.
GW Wegen des Freundes. Die FU gründete sich ja gegen die Humboldt-Universität, das waren Gegner.
JS Du bist sehr früh in die Partei eingetreten, gleich nach dem Krieg.
GW Wie gesagt, hauptsächlich aus Protest gegen die Eltern.
CW Die Älteren hatten alles gegen den Baum gefahren. Nun, dachte man, müsste es eine Kraft geben, die verhindert, dass so etwas wie der Nationalsozialismus noch einmal passiert. Das vermittelten uns auch die Lehrer: Auf keinen Fall dürfe so etwas wie der Faschismus noch einmal geschehen!
GW Ich war sehr im Kulturbund 37 engagiert. In Schlotheim war ich Vorsitzender, wurde dann zu einem zentralen Lehrgang nach Bad Saarow delegiert und zu den Kulturbundkongressen in Berlin eingeladen. Dadurch konnte ich in Berlin auch die großen Brecht-Aufführungen, Herr Puntila und sein Knecht Matti oder Mutter Courage, sehen. Ich hatte von der großen literarischen Welt schon viel mehr mitbekommen als Christa zu dieser Zeit.
JS Wie liefen denn die ersten Parteiversammlungen ab, hatte man die gleich von Anfang an?
CW In Frankenhausen hatte ich keine mehr, beim Studium in Jena hatte ich welche. Ich hatte mich für Germanistik beworben, etwas anderes kam für mich nicht in Frage. Ich wollte allerdings Lehrerin werden, das wollten wir beide, Gerd und ich. Ich hatte aber eine Ablehnung bekommen, weil mein Vater kein Arbeiter war. Das war eine große Katastrophe für mich. Da hat mir eben wieder dieser Mathelehrer und Bürge geholfen. Er fuhr mit mir zusammen nach Erfurt zum Volksbildungsministerium. Dort ging er ins Büro hinein, ich blieb im Vorzimmer sitzen. Als er wieder herauskam, meinte er: »Die Sache ist geregelt!«
JS Und wie habt ihr beiden euch dann kennengelernt?
CW In den ersten Wochen beim Studium 1949 in Jena. Ich war ein paar Tage vor Gerd da. Eine Mitstudentin kam aus Schlotheim, die kannte Gerd, bewunderte ihn, vielleicht war sie auch ein wenig in ihn verliebt …
GW Ach …
CW … sie sagte: »Du, da kommt noch einer, der Gerhard Wolf.« Und ich sagte: »Ach ja, das ist der Bruder vom Freund meines Bruders.« Gerhard
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