Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
wissenschaftlichen Erkenntnis sein?
CW Er schrieb, die Sprache sei klassengebunden. Das war nichts Neues oder Besonderes. Und wir mussten das studieren. Wir fanden das einfach nicht so dolle.
GW Bei jeder FDJ -Versammlung wurde ein Ehrenpräsidium gewählt. Da hieß es immer: »Wir wählen in das Ehrenpräsidium den Genossen Stalin!« Dann sprangen alle auf, klatschten und setzten sich wieder hin. Dann ging es weiter: »Wir wählen den Genossen Mao Tse-Tung!« Da konnten wir nicht so richtig mitklatschen. Wenn wir nach diesen Versammlungen nach Hause gingen, fragten wir uns: Was soll das eigentlich? Na gut, das sind die Erscheinungen der Übergangszeit, die Kinderkrankheiten des Kommunismus, das wird sich alles legen. Richtig ins Zweifeln gerieten wir erst, als wir die Schlotterbecks 46 kennenlernten. Friedrich Schlotterbeck war während der Nazizeit im KZ gewesen, seine ganze Familie war umgebracht worden. Und er wurde von uns, in der DDR , wieder verurteilt während unserer kleinen stalinistischen Slánský-Prozesse 47 . Die Schlotterbecks klärten uns über die Geschichte und die inneren Bewegungen der Kommunistischen Partei auf, Anna Schlotterbeck war vor 1933 im Zentralkomitee gewesen.
JS Wann habt ihr sie kennengelernt?
GW Nach 1962 , als wir von Halle nach Kleinmachnow zogen. Das waren authentische Berichte von leibhaftigen Kommunisten, die alle Konflikte kannten.
CW Wir zogen aus Halle weg, weil wir große Auseinandersetzungen mit der Partei hatten.
GW Es gab eine böse Kritik von Horst Sindermann über den Geteilten Himmel . Sindermann war damals Erster Sekretär der SED -Bezirksleitung Halle. Er schrieb etwas von dekadenter Lebensauffassung und einer falschen Darstellung der deutschen Teilung. Ihre Bedeutung werde in dem Buch zu stark betont – eine Liebe, die an der Teilung zerbricht! Es war ein überraschender und heftiger Angriff.
JS Vor den Schlotterbecks hattet ihr keine »leibhaftigen Kommunisten« getroffen?
CW Doch, der Lyriker Louis Fürnberg 48 hat uns nach dem XX . Parteitag der KP d SU geschrieben: Tauwetter, endlich kann ich wieder schreiben! Wir haben die Konflikte schon mitbekommen, Fürnberg ist dann aber bald gestorben.
GW Herzinfarkt mit 49 ! Die Enthüllungen über Stalin hat er nicht mehr verkraftet. Das war zu viel.
JS Ich habe meine Magisterarbeit über Chruschtschow und die Tauwetterperiode geschrieben. Als Chruschtschow in seiner Geheimrede auf dem XX . Parteitag 1956 den Personenkult und die Verbrechen Stalins verurteilte, wie wurde das in der DDR aufgenommen?
CW In der Parteiversammlung wurde aus dem Geheimbericht vorgelesen, und im Westrundfunk wurde er verbreitet.
GW Ich lag beim Ungarn-Aufstand 1956 im Krankenhaus.
JS War der Aufstand in Ungarn für euch auch die Konterrevolution?
CW Zunächst ja. Ich musste dann aber ins Krankenhaus, deine Tante Tinka wurde geboren. Da verfolgte ich das nicht mehr so intensiv.
GW Nun gut. Aber als dann die neue Regierung Nagy hingerichtet und Lukács verhaftet wurde – das war schon wieder etwas ganz anderes. Das fiel auch mit der Sueskrise zusammen. Es war eine heikle Situation.
JS Gab es da noch Diskussionen innerhalb der Partei, war das noch möglich?
CW Ich weiß es gar nicht, kann mich nicht erinnern.
GW Aus der Zeit kenne ich Heinrich Böll. Die meisten trauten sich nicht, uns DDR -Rundfunkredakteure zu empfangen. Wenn wir nach Westdeutschland fuhren, waren wir halbe Illegale und hatten keine Devisen. Böll empfing uns und diskutierte mit uns. Viele ließen uns nicht ein, hatten Angst vor den Kommunisten. Damals war vieles noch im Fluss. Das endete mit dem Ungarn-Aufstand. Bei uns wurde die Anti-Ulbricht-Gruppe abgesetzt, und die Harich-Prozesse 49 begannen, gegen einige Intellektuelle, die parteiinterne Reformen forderten. Das war der Schnitt.
CW Nach dem Ungarn-Aufstand merkte Gerd, dass es beim Rundfunk nicht mehr weiterging.
GW Nach dem 17 . Juni wurden die Kampfgruppen in den Betrieben gegründet, ganz kurz war ich beim Rundfunk einmal Mitglied der Kampfgruppe, machte ein, zwei Ausflüge mit. Dann sollten wir zwei Kollegen aus der Partei ausschließen: einen Nachrichtensprecher, der aus Versehen »Kriegslager« statt »Friedenslager« gesagt hatte, und einen anderen, der in seiner Wohnung immer nackig herum lief …
JS … das entsprach nicht der
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