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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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Buchgestalter für den Verlag Gerhard Wolf Janus press

Woserin, 22 . März 2008
    Eigentlich gibt es keine richtige Erklärung für die neun Jahre währende Pause unserer Gespräche. Vielleicht diese: Wir waren alle sehr mit unseren Leben beschäftigt. Die Kraft der Gegenwart: Meine Großeltern schrieben und verlegten Bücher, organisierten Ausstellungen, und besonders meiner Großmutter ging es gesundheitlich nicht gut. Ich arbeitete weiter als Journalistin, inzwischen seit einigen Jahren für Die Zeit, und veröffentlichte auch ein Buch. Meine Großeltern und ich sehen uns regelmäßig, einmal verbringen wir mehrere Monate gemeinsam in ihrem Sommerhaus, aber unsere Gespräche führen wir nicht weiter.
    Im Januar 2008 erfahre ich, dass ich schwanger bin. Meine Großeltern freuen sich, das erste Urenkelkind. Das ist der Augenblick, in dem mir unser Projekt wieder in den Sinn kommt, es wieder in den Vordergrund drängt. Die ursprüngliche Idee der Gespräche war, dass ich einmal meinem Kind etwas über unsere Familie erzählen könnte. Nun interessieren mich auch andere Fragen: Wie meine Großeltern ihre Töchter erzogen haben, wie sie es geschafft haben, Arbeit und Familie zu vereinbaren. Das erklärt auch, warum wir uns in diesem Jahr gleich dreimal treffen. Wir müssen nachholen. Meine Großeltern sind fast achtzig Jahre alt, ich bin inzwischen 35 .
    Zu Ostern fahre ich zu ihnen nach Mecklenburg, ein paar Freunde und die gesamte Familie sind dort versammelt. Es regnet fast die ganze Zeit, das große alte Pfarrhaus erwärmt sich nur langsam. In Wolldecken gehüllt sitzen wir an einem Nachmittag in der Küche meiner Großeltern an jenem langen Holztisch, der früher in ihrer Berliner Küche stand. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit, er erinnert mich an viele Essen, Feste und Gespräche. Meine Großmutter hockt auf der Bank, mein Großvater daneben auf einem Stuhl. Wir trinken Kaffee. Am Vorabend saß die Familie lange zusammen. Meine Cousine Helene ist aus Brüssel angereist und hat von ihrer Arbeit erzählt.
    JS     Wie fandest du das gestern, Oma, was Helene über ihre Arbeit bei der International Crisis Group 53 erzählt hat? Klang das für dich sehr fremd, du hast gesagt: Du kämst dir ausrangiert vor.
    GW     Wieso?
    CW     Nicht inhaltlich. Es ist ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits finde ich toll, was Helene macht, auch wie sie darüber erzählt. Andererseits ist mir völlig klar, das ist gar nicht mehr meine Welt. Ich versuche, das zu verstehen.
    GW     Ich halte dieses Engagement für eine ehrenhafte Sache, aber für völlig vergeblich.
    CW     Vielleicht ist es doch nicht ganz vergeblich.
    JS     Warum vergeblich?
    CW     Weil ganz andere Kräfte am Wirken sind. Aber irgendwelche Gegenkräfte müssen sich ja etablieren.
    JS     Ich habe in London studiert, war viel im Ausland. Helene führt ein internationales Leben, hat auch in London studiert, arbeitet jetzt in Brüssel, danach geht sie vielleicht wieder woandershin. Hättet ihr so etwas auch gern einmal gemacht?
    CW     Darauf kann ich gar nicht antworten, weil das so außerhalb jeder Vorstellung für uns lag, dass man es sich nicht einmal wünschen konnte. Ich empfinde das aber als sehr zeitgemäß.
    GW     Ist doch wunderbar, einen Job zu haben, in dem man etwas bewegen kann.
    Mein Großvater steht auf und läuft zum Küchenschrank. Er sucht etwas.
    GW     Die ganzen Marmeladen sind weg!
    CW     Tinka hat erklärt, das seien Wandermarmeladen!
    GW     Ach so!
    Wir lachen.
    JS     Ich frage mich, wie ihr das heute wahrnehmt – das viele Reisen eurer Enkel?
    CW     Wenn ich Helene höre, das Denken ist in der jungen Generation viel differenzierter und entwickelter als unser Denken zu der Zeit. Als ich 25 war, das war 1954 , hatte ich die Universität hinter mir, hatte meine erste Stelle im Schriftstellerverband, hatte mein erstes Kind. Ich ging zur Arbeit, Gerd war beim Rundfunk, wir wohnten in Berlin-Karlshorst. Es ging im Grunde um die DDR , darum, die Menschheit zu überzeugen, dass wir ein blühendes sozialistisches Land aufbauen wollen, und darum, dass auch möglichst zu schaffen. Vom Stalinismus wussten wir, wie schon gesagt, zunächst nichts. Das erfuhren wir später vor allem von Louis Fürnberg, der nicht damit hinter dem Berg hielt, dass er bei den Slánský-Prozessen gefährdet war.
    GW     Weil er das Lied von der Partei geschrieben hatte!
    JS     Was war das Lied von der

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