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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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und der hat sie dann an den Zensor weitergeleitet. Das Kassandra -Manuskript gab ich zuerst dem westdeutschen Luchterhand Verlag. Ich wollte, dass das Buch in beiden Teilen Deutschlands möglichst gleichzeitig erscheint, weil das bei uns in der DDR der Sache mehr Möglichkeiten verschaffte. Dann hörte ich lange nichts vom Aufbau Verlag …
    JS      Kassandra war doch nicht das erste Buch, bei dem das so war?
    CW     Nein, bei Nachdenken über Christa T. gab es viel mehr Ärger. Aber bei Kassandra wurde ich in den Verlag bestellt. Ich dachte, die werden sich auf die Erzählung stürzen, die werden merken, dass ich darin behaupte, die DDR werde untergehen. Im übertragenen Sinne zu Troja. Haben sie aber nicht, sie haben sich nicht getraut, Parallelen zu sehen. Der Verlag war eigentlich immer ein Bundesgenosse, die Lektoren mussten auch taktieren und sehen, wie sie klarkamen. Die Cheflektorin bestellte mich also zu sich und sagte, ich bekäme die Druckgenehmigung, wenn ich einige Stellen aus den Vorlesungen wegließe.
    JS     Welche Stellen waren das?
    CW     Das betraf die Stellen, in denen ich ein Gleichheitszeichen zwischen den Kriegsvorbereitungen im Osten und im Westen gemacht hatte. In denen ich geschrieben hatte, wenn die anderen nicht aufhören aufzurüsten, sollten wir zuerst damit aufhören und abrüsten. Darüber waren die Zensoren empört. Sie zeigten mir die Stellen. Es betraf etwa 63 Zeilen. Ich sagte: Erstens habe ich dem Westverlag gerade das Startzeichen für den Druck gegeben. Ich wusste, die veröffentlichen das Buch dort ungekürzt und die DDR -Leser würden sich das schon beschaffen, was sie dann auch taten. Zweitens, ich mache das nur, wenn diese Stellen gekennzeichnet werden – mit Punkten und Auslassungszeichen und darunter steht »gekürzte Fassung«. Das hatte es in der DDR noch nie gegeben. Aber der Verlag ließ sich darauf ein, ohne weiter zu fragen. Hinterher gab es deshalb unheimlichen Ärger. Von drüben wurde die ungekürzte Fassung eingeschmuggelt, und die DDR -Leser schrieben die betroffenen Stellen auf Durchschlagpapier heraus und gaben sie weiter. Nach der Wende hat mir jemand einmal ein Exemplar mit diesen eingefügten Seiten geschenkt.
    JS     Das war der Kompromiss, den du bereit warst zu machen?
    CW     Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es durch die Veröffentlichung im Westen sowieso herauskommt.
    JS     Ohne den Westen wäre es nicht gegangen, sonst wären die Bücher gar nicht erschienen?
    CW     Von einem bestimmten Punkt an war der Westen eine Hilfe. Besonders die Verlage, die sich darauf einstellten und nicht provozierten, wie zum Beispiel der Luchterhand Verlag und dessen Verlagsleiter Hans Altenhein 56 , mit dem wir uns sehr gut verstanden. Mit ihm konnte man die Taktik besprechen, was man wann und wie druckt. Wir hatten bestimmte Codes, wie man etwas ausdrückte. Bei Luchterhand hatten wir eine Lektorin, die sich um ostdeutsche Literatur kümmerte und auch oft in den Osten reiste. Ihr gaben wir Hinweise, was sie drucken und um welche Autoren sie sich kümmern sollte. Inoffiziell.
    JS     Was für Codes meinst du?
    CW     Dass man am Telefon bestimmte Dinge nicht sagte, der andere aber trotzdem verstand. Das ist heute ganz schwer zu erklären. Es lag sozusagen etwas in der Luft. Später lasen wir in unseren Stasiakten: »Die haben wieder mit dem Verlag telefoniert.« Die Stasi stellte sich mehr Codes vor, als tatsächlich da waren, interpretierte harmlose Äußerungen als verschlüsselte Botschaften. Das war um sieben Ecken verrückt. Da existierte man in einem sehr merkwürdigen Koordinatensystem. Mit der Zeit wurde das normal. So lebte man eben.
    JS     Ihr habt den Irrsinn nicht mehr gemerkt?
    CW     Teils, teils. Wir haben gemerkt, wie groß der Anteil der Stasiüberwachung in unserem Leben war, wie weit sie gingen, um uns zu beobachten. Einerseits wussten wir das, andererseits machten wir uns auch darüber lustig. Wenn es beim Telefonieren in der Leitung knackte, sagten wir: Aha, jetzt sind sie wieder drin. Mein Bruder Horst bemerkte grundsätzlich am Telefon: »Nun sind die Herren wieder drin. Sie können ruhig ausschalten. Wir sagen nichts Staatsfeindliches.«
    JS     Ich begrüßte die Zuhörer am Telefon immer: »Hallo an alle, die mithören!« Es war ja klar, dass auch wir abgehört wurden. Das machte man auch, um die Tatsache nicht so nah an sich heranzulassen, dass es

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