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Sei lieb und büße - Thriller

Sei lieb und büße - Thriller

Titel: Sei lieb und büße - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loewe
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Alle anderen dürfen das.«
    »Pech für dich«, antwortet Sina und scheucht ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung Richtung Schulgebäude. Dann tritt sie in die Pedale. Wenn sie pünktlich sein will, muss sie sich ranhalten. In zwölf Minuten fängt der Unterricht an. Morgen muss sie Ben früher abliefern. Oder ihre Mutter aus dem Bett werfen. Sie kann es sich jetzt nicht leisten, zu spät zu kommen. Das Wichtigste in dieser Phase ist: nicht auffallen. Und als Letzte ins Klassenzimmer zu schlurfen, während sich alle Augen auf einen richten, wäre dem nicht gerade dienlich.
    Erhobener Kopf. Ja. Aber gleichzeitig so unsichtbar sein wie möglich. Außer, was Gabriele angeht. Sie wird sie zur Verantwortung ziehen. Sie zwingen, die Bilder zu löschen und sich öffentlich zu entschuldigen. Und sollte sie sich weigern, wird sie die Lehrer einschalten. Selbst wenn sie dann eine Petze ist. Besser eine Petze als diese Bilder noch länger im Internet. Oder sie könnte Gabrieles Eltern darauf aufmerksam machen, was ihre Tochter im Netz so treibt.
    Zwei Minuten. In Windeseile sperrt Sina ihr Rad ab und läuft zum Physiksaal. Die Tür ist noch offen. Zum Glück. Sie tritt ein. Lachen. Grinsen. Unterdrücktes Kichern. Lautes Kichern. Rascheln von Papier, das schnell in Taschen geschoben wird. Sina geht zu ihrem Platz und tut so, als bemerke sie nichts. Setzt sich.
    Da steht Gabriele vor ihr. Boxt ihr gegen den Arm.
    »Hast du den Arsch offen?«
    Sina springt auf. »Das solltest du doch wissen, schließlich prangt er an deiner beschissenen BabyG-Pinnwand! Du gehörst echt in die Irrenanstalt!«
    »Ach ja?« Gabrieles Faust schnellt vor. Auf dieselbe Stelle. Es brennt. »Du bist ja wohl hier die Verrückte! Wie kommst du darauf, zu behaupten, dass ich BabyG bin?«
    Gabrieles Faust schießt wieder vor. Doch diesmal fängt Sina sie ab und verdreht Gabriele den Arm. »Gegenfrage: Warum stellst du mich bloß? Was hast du davon?«
    »Aua! Hör auf!«
    »Gib zu, dass du BabyG bist!«
    »Au! Du bist ja echt total irre! Ich bin nicht BabyG!«
    Sina verstärkt den Druck auf Gabrieles Arm. Sie krümmt sich. Jammert.
    »Und wer hat dann das Foto von mir gemacht? Das kann nur in der Umkleide passiert sein. Also: du oder Céline.«
    »Hör auf. Sie ist nicht BabyG.« Céline steht plötzlich neben ihr und löst ihren Griff um Gabrieles Arm. Wie ein Schiedsrichter stellt sie sich zwischen sie und Gabriele. »Und das Foto von deinem Hintern ist genauso wenig in der Umkleide geschossen worden wie die hier.«
    Wie aus dem Nichts hält sie Sina ein Blatt unter die Nase. Sina nimmt es stumm entgegen.
    Bilder. Von ihr. Halb nackt. Kaum bedeckt von ihrem viel zu kleinem Handtuch. Von vorn. Von der Seite. Von hinten. Gestern hat sie so vor dem Spiegel gestanden. Genau so. In ihrem Zimmer. Jemand hat sie in ihrem eigenen Zimmer fotografiert. Wie? Wer? Die Bilder verschwimmen vor ihren Augen. Sie lässt das Blatt fallen. Schreit. Ein durchdringender, hoher Schrei. Er schmerzt in ihren Ohren, doch sie kann nicht aufhören. Sie stürzt aus dem Physiksaal, schreit und rennt durch den Flur, vorbei an offenen Türen, geschlossenen Türen, vollen Garderoben, leeren Garderoben, erreicht die Pausenhalle. Hört, wie Türen aufgerissen werden. Ihr Schrei hallt in ihren Ohren, treibt sie weiter an. Sie rennt zum Eingang, hinaus, zu ihrem Rad. Rast nach Hause, schaut nicht links, nicht rechts, beachtet keine Ampel, keine Verkehrsschilder. Fährt, als wäre der Teufel hinter ihr her. Nie wieder wird sie diese Schule betreten. Nie wieder wird sie sich sicher fühlen. Nirgendwo.
    Die Wohnung ist still. Gespenstisch still. Sina zerrt die Schuhe von ihren Füßen und schmeißt die Jacke in die Ecke. Vor ihrem Zimmer bleibt sie stehen. Sie kann dort nicht hinein. Dort ist die Kamera, mit der sie gefilmt wurde. War jemand auf dem Balkon? Ist jemand eingebrochen und hat eine Kamera installiert? Wie eine Wahnsinnige tritt sie gegen die Tür, wieder und wieder, so fest, dass der Fuß schmerzt. Dann humpelt sie zum Schlafzimmer ihrer Eltern. Leise öffnet sie die Tür. Hört das gleichmäßige Schnarchen ihrer Mutter. Sie geht zu ihrem Nachttisch und nimmt die Packung Schlaftabletten. Presst drei Stück aus der Folie, steckt sie auf einmal in den Mund, greift nach dem halb vollen Wasserglas und schluckt sie hinunter. Dann legt sie sich auf die Bettseite ihres Vaters, rutscht zu ihrer Mutter und kuschelt sich an sie. Sie spürt ihre Nähe, ihre Wärme, das Kitzeln ihres Atems

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