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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Quoten nicht in der von Bohlen und Klum avisierten Altersklasse ab dreizehn Jahren, sondern bei deren Großeltern.
    Weil der MDR verantwortlich von höchst bescheidenen Menschen geleitet wird, die sich nicht für moralischer, klüger, anspruchsvoller dünken als ihr Publikum und das Programm machen, das ihnen selbst gefällt, sind sie zum Marktführer unter allen regionalen Dritten der ARD geworden. Aus Sicht des Westens ist es ein »Paralleluniversum« (Stefan Niggemeier) der unbekannten Art, mit dessen Bewohnern
als Fremden von einem anderen Stern. Die vom MDR beglückten Menschen bekommen für ihre Gebühren genau das, was sie lieben, und damit das, was ihnen gebührt. Gern sehen sie nach wie vor bunte Kessel voller Toupetträger, kichernder Blondinen, scherzender Nervensägen, die in anderen geschlossenen Anstalten längst Hausverbot haben. Im anwesenden Publikum amüsieren sich, wie bei den Kameraschwenks ins schunkelnde Volk sichtbar wird,Vertreter der Frisurenmode Vokuhila – vorne kurz, hinten lang – mit ihren entsprechend hochtoupierten Frauen.
    Der MDR ist offenbar eine menschenfreundliche, keine menschenverachtende Vereinigung. Sein Unterhaltungschef hat sich schon im untergegangenen Zwei-Kanal-System der DDR intensiv um die Probleme seiner Mitmenschen gekümmert und deren Kummer weitergegeben ans Ministerium für Staatssicherheit. Menschenverachtung könnte vielmehr anderen Sendern vorgeworfen werden, zum Beispiel dem Sender, in dem Big Bohlen mit zitternden Prolos umgeht wie mit Leibeigenen.
    Die bunten Kesselflicker des MDR holen in ihrer Güte dagegen nicht nur ostdeutsche Scheintote aus ihren Altenheimen, lassen sie vor laufenden Kameras singen, tanzen, blödeln. Sondern sie geben auch lahmen westdeutschen Zirkuspferden noch Zucker, fördern so die innere Einheit der Nation. Was den Privatsendern die Suche nach irgendwelchen Superstars, ist dem Marktführer Ost die Volksmusik. Da blubbert’s im Biotop vor Glück. Alle dort heimischen Brüder und Schwestern sowie alle, die nicht rechtzeitig aus den Wernesgrüner Musikantenschenken fliehen konnten, werden von der Moldau bis zur Mulde versendet.
    Ist es überhaupt sinnvoll, den Unterschied zwischen Gasse, Gosse und Boulevard zu erklären, weil es die sich dort Tummelnden eh nicht verstehen würden? Lässt sich unterscheiden
zwischen Provokation auf allertiefstem Niveau, um sich im Sinne des geheimen Konzepts an den Reaktionen zu ergötzen, und hörbar werdender Kumpanei auf ebendiesem Niveau? Nehmen die öffentlich geschlachteten Jugendlichen jede Bohlen-Demütigung hin, weil sie nur so ihre zwei Minuten Fernsehpräsenz bekommen, mit der sie wenigstens in ihren Dunstkreisen angeben können? Ist es schwarzer Humor oder nur Ausdruck von menschenverachtender Dreistigkeit, wenn Ilka Bessin alias Cindy aus Marzahn bei ihren Auftritten vor augenscheinlich eindeutig gedankenfreien Prolos für den Satz bejubelt wird: »Ich habe Alzheimer-Bulimie, erst esse ich alles, dann vergesse ich zu kotzen«?
    Schlimmer geht’s nicht?
    Ach was, geht noch.
    Auf Viva, dem einst frechen Alternativkanal zu öffentlich-rechtlichen Musiklangweilern, inzwischen aufregend wie 9Live, wo Moderatorinnen und Moderatoren beschäftigt werden, die nicht mal mehr der MDR vor die Kamera lässt, lief ein Casting-Surrogat namens Are U Hot . Zu allen anderen Shows dieser Art, egal, auf welchem Sender, verhält sich die wie Roger Whittaker zu Frank Sinatra. Bei Viva treten junge Menschen auf, die berechtigte Zweifel an Darwins Evolutionstheorie wach werden lassen, was aber ebenso gilt für die Ansagerin und die Jury und das Publikum. Insofern kann man das Ganze auch eine in sich stimmige Sendung nennen. Worum es dabei geht, wer gewinnt und was er/sie dafür tun müssen, ist egal.
    Befragt, was er denn tun würde, um ins Fernsehen zu kommen, und sei es auch bei Viva, antwortete ein voll geiler Halbwertiger, er sei bereit, sein Auto gegen einen Baum zu fahren. Was ihm einen Auftritt im Motormagazin Grip auf RTL 2 bescheren würde beim Themenschwerpunkt, der unter dem Motto stand, was wohl passiere, wenn einer mit
»Highspeed durch eine geschlossene Schranke donnert«. Zumindest würde er das Brett vor dem Kopf dabei verlieren, aber selbst dann bliebe ja der Kopf weiterhin leer.
    Lange Zeit führten in einer gemeinen persönlichen Rangliste des Ekels Katarina Witt (ProSieben), Oliver Geissen (RTL) und Birgit Schrowange (ebenfalls RTL). Bis schließlich dann doch drei Formate gewannen,

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