Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
zwischen ihren Brüsten auszubreiten, schlägt sich nieder in der realen Welt. Wenn ein Ex-Tennisstar eine seiner Ex-Geliebten heiraten will, gibt er Ort und Zeitpunkt in einer Samstagabendshow des ZDF bekannt – Wetten dass...? -, statt stillschweigend sein Heil im Glück zu suchen.
Das war Boris Becker nicht etwa peinlich, es wirkte eher wie Teil A einer langfristig angelegten Strategie. Denn ein weiterer Auftritt, in dem er sich betroffen zeigen kann, weil seine private Hochzeit durch sensationsgeile Journalisten, die er von früheren Verlobungen oder Hochzeitsankündigungen her gut kennt, gestört worden sei, ist ihm und seiner künftigen Gattin sicher.
Was die da oben vormachen, machen die da unten nach. Sie kehren ihr Innerstes nach außen. Auch wenn sie es im Gegensatz zu einer verlassenen Schmuckdesignerin, einer ostdeutschen Waldschratin oder der spitzbusigen Gemahlin eines Steuerhinterziehers nie ins Abendprogramm schaffen, weil ihr niedriger Bekanntheitsgrad nicht für eine hohe Quote reicht, ein warmes Plätzchen in einem der vielen Nachmittagsmagazine ist allemal für sie drin.
Dringender wäre es aber doch, statt sich um die Verblödung der Mario-Barth-Horden oder um die wegen dauernder Medienpräsenz längst in ihrer Ausstrahlung erloschenen Bobbeles ein paar unwesentliche Gedanken zu machen – denn die tun ja keinem wirklich was an -, das völkische Pack der Neonazis zu attackieren.
Deren Hirnlosigkeit ist gefährlich, weil sie geleitet werden von cleveren Ideologen, die sich kühl ihrer Dumpfheit bedienen. Dennoch gibt es, so blöde das klingen mag, eine zwingende Notwendigkeit, Mario Barth und seine Anhänger ernst zu nehmen. Er ist zwar keine Gefahr für die Demokratie
wie die Verfassungsfeinde von rechts außen, aber er beschädigt sie, sobald er sein Mund-Werk öffnet.
Den blöden Neonazis dagegen muss man aufs Maul hauen, sobald sie es öffnen und tödliche Hassgesänge anstimmen. Die Menschen, die Barth um sich sammelt, sind noch nur ein Fall fürs Guinness-Buch der Rekorde – wie viele Blöde drängt es wann und wo zuhauf und wie muss ein Haufen riechen, um sie anzulocken? Die Menschen, die von den echten Braunen gesammelt werden, sind ein Fall für die Polizei, den Staatsanwalt, die Gerichte.Würde man die frei laufen lassen, statt sie zu bestrafen, wäre das tatsächlich ein Kollateralschaden für die Demokratie.
Täglich verstrahlte Verblödung ließe sich zynisch als geschickte Strategie von Populisten interpretieren, den vorhandenen Massengeschmack zu nutzen, um die Gesellschaft auf einem einheitlichen Niveau zu demokratisieren. Indem nicht nur, wie seit Charly Marx gefordert, Klassenschranken aufgehoben werden, sondern alle Schranken, die bisher die einen von den anderen trennten, zum Beispiel die Gebildeten von den Ungebildeten, lässt sich die Vision, alle Menschen seien gleich, ja wenigstens auf solche Weise verwirklichen.
Im Klassenkampf zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird von linken und konservativen Politikern um eine gerechtere Verteilung des Bruttosozialprodukts gestritten. Seit Jahren enden die Schlachten unentschieden. Beim Kampf gegen Verblödung aber geht es nicht um Kapital, sondern um Köpfe. Die einen besitzen sie, die anderen sind besitzlos. Wären aber endlich alle gleich blöd, würde Gleichheit herrschen, und keiner könnte mehr von oben herab über die Dummheit der anderen schreiben.
Doch viele Kopfbesitzende wehren sich noch. Sie geben nicht kampflos auf und her, was sie erlesen, erdacht, erträumt haben, und ziehen sich nicht resigniert in ihre Elfenbeintürme
zurück, um von dort aus über den Lauf der Welt im Allgemeinen und speziell die gemeinen Läufigen im eigenen Land zu klagen. Sie stellen sich stattdessen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden verbalen Waffen den Blöden in den Weg und verteilen Kopfnoten für die Kopflosen.
Die Kopfnote Sechs gebührt zum Beispiel Uwe Ochsenknecht, der ja nicht zufällig von Mario Barth als Gast in eine seiner Shows eingeladen wird. Die beiden senden auf einer Wellenlänge. Der Schauspieler ist zwar durch deutsche Unterhaltungsfilme bekannt geworden, unter denen zwei gute waren – Männer von Dörrie und Schtonk von Dietl -, aber was nicht so viele seiner Fans wissen: Er ist außerdem König der Kevinisten . Ein solcher Ehrentitel muss verdient werden. Ochsenknecht hat ihn sich verdient.
Mit Kevinismus (weiblich: Chantalismus) bezeichnet man »die krankhafte Unfähigkeit, menschlichem Nachwuchs
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