Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
Pupillen, und da war etwas Magisches in der Art, wie er die junge Frau damit festhielt, während er sagte:
Es wiederholt sich jede Nacht. Das ist der Preis für den König
. Nach diesen Worten explodierte er in tausend Sterne. Sie flimmerten erlöschend zu Boden.
»Geh weg!«, murmelte Nadja und blinzelte ein paarmal, um die verstörende Erinnerung loszuwerden. Es gelang ihr auch. Sie fragte sich allerdings, als die Realität ihren Platz zurückerobert hatte, ob das ein guter Tausch war.
Es hatte geschneit während der Nacht, und die Ruinen von Tintagel waren mit einer dünnen Flockenschicht bedeckt. Der Anblick war nur kalt, aber nicht schön. Es lag kein Zauber mehr über den uralten, zerfallenen Mauern, wie er es noch in der Abenddämmerung getan hatte. Im Morgengrauen besaß die sagenumwobene Burg den Charme einer verlassenen Baustelle.
Verlassen ist ein gutes Stichwort!
, dachte Nadja.
Ich will diesen Ort verlassen; je eher, desto besser. Wenn nur David und Cunomorus endlich aufwachen würden!
Doch das taten sie nicht, egal wie ungeduldig Nadja mit den Füßen wackelte. David lag schwer an ihrer Schulter und schlief wie ein Kind, tief und fest. Das Ende des Königsmantels war während der Nacht von ihm abgeglitten; sie zog es hoch und deckte ihn fürsorglich wieder zu. Nadja gönnte ihm die Erholung; der Elf hatte sie sich redlich verdient nach den Ereignissen in Bandorchus Reich. Aber er war nicht der einzige wichtige Mann in ihrem Leben. Es gab noch einen zweiten – mit süßen Speckhändchen und dem charmantesten Babylächeln der Welt. Dieser kleine Mann stand in Nadjas Herz an erster Stelle, egal wie sehr sie David liebte. Sie musste wissen, dass es Talamh gut ging, musste ihn wieder in die Arme schließen. Erst dann wurde geschlafen.
»David? Wach auf!«, flüsterte sie und küsste ihn aufs Haar.
»Hmm«, machte er.
Nadja wandte sich Cunomorus zu. Sein Geschnarche schien von Minute zu Minute anzuschwellen. Das Kinn lag ihm platt auf der Brust, eingebettet in den grau melierten Bart, seine Wangen waren nach vorn gesunken. Wenn er ausatmete, flappten sie leicht. Zog er jedoch schnorchelnd und grunzend die Luft ein, zitterte der ganze König. Es reizte zum Lachen, wie er so dasaß, völlig entrückt in ferne Traumwelten, und überlaut vor sich hin schlummerte.
Nadja presste die Lippen zusammen und versuchte ernst zu bleiben. Um dem Kribbeln in ihrem Bauch entgegenzuwirken, spannte sie ihre Muskeln an und hielt die Luft an. Dann hörte sie den nächsten unanständig klingenden Schnarcher – und prustete los.
Der König fuhr hoch, als das schallende Gelächter seinen Schlaf durchdrang. »Was … was …«, stammelte er und sah sich desorientiert um, noch gar nicht richtig da. Nadja wischte ihre Lachtränen weg.
»Guten Morgen, Cunomorus!«, grüßte sie vergnügt. »Habt Ihr wohl geruht?«
»Ich glaube schon. Aber was erheitert Euch daran?«
»Nichts!« Sie nahm sich zusammen. »Es tut mir leid, meine Nerven liegen blank. Ich bin nicht mehr ganz bei mir.«
»He«, erklang eine sanfte Stimme, und sie spürte Davids Hand, die durch ihr Haar strich. David richtete sich auf, nahm ihre Hand und küsste sie zärtlich. »Das ist doch nur zu verständlich. Du bist nach außen immer so stark, egal wie es dir geht. Du gibst nie auf und kämpfst selbst dann noch, wenn du gar keine Kraft mehr hast. Irgendwann ist das Maß dessen, was man ertragen kann, eben voll. Auch du darfst dir eine Auszeit gönnen.«
»Erst wenn ich Talamh zurückhabe!« Sie atmete tief durch. »Ich brauche jetzt ein riesiges Frühstück! Was meint Ihr, Cunomorus: Könnt Ihr etwas Essbares für uns auftreiben?«
»Ich werde mein Bestes versuchen«, versprach er.
Auf dem Weg zum Dorf erzählte Nadja von ihrem merkwürdigen Traum. David war überrascht, als er ihn hörte – er hatte dasselbe geträumt, aber nichts weiter darauf gegeben, wie er einräumte. Der Elf wandte sich an Cunomorus und wollte wissen, ob er ähnliche Erfahrungen gemacht hatte.
»Ja, ich kenne die Bilder«, antwortete der König. »Jeder sieht sie, der auf Tintagel übernachtet.«
»Ein Fluch«, vermutete David. »Was sonst hat das zu bedeuten?«
»War der Mann mit dem Stab Merlin?«, fragte Nadja.
»Stimmt.« Cunomorus lächelte sie an. »Die Figuren in Euren Andenkenläden sind ihm recht ähnlich, findet Ihr nicht auch?«
»Nein«, sagte sie verwundert. »Ich habe …« Sie verstummte, als David ihr einen leichten Stoß gab und hastig ins Ohr flüsterte:
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