Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
mit deinem
Whispering Willows
. Ich bin voll darauf hereingefallen. Dabei ist es doch klar, dass du da nicht hingehen würdest.«
Der Elf blieb stehen, drehte sich um und kam zurück. »Warum ist das klar?«
»Na ja. Du weißt schon.«
»Ich weiß es nicht. Sag’s mir!«
Rocky hob die Schultern. »Also, Whispering Willows, dieses Dorf ist der grässlichste Platz im ganzen Moor, und ich sage dir, es gibt viele grässliche …«
»Ist es unbewohnt?«, fiel ihm der Elf ins Wort.
»Nein, das nicht. Aber …«
»Tauchen da welche von uns auf? Kobolde? Spriggans? Treibt sich da Mördergesindel herum?«
»Nö, so kann man das nicht sagen.«
»Schlafen die Leute in Betten?«
Rocky kratzte sich am Kopf. »Ich denke schon, aber das …«
»Gibt es auch ein Gasthaus?«
»Ja, das
Grumpy Hog
. Das ist eine Taverne, die noch aus der Zeit der Strandpiraten stammt und … Halt, warte doch mal! Wo willst du denn hin?«
»Ins Bett!«, rief der Elf über die Schulter zurück und humpelte davon.
Rocky sah ihm unschlüssig hinterher. Was sollte er tun? Rechts von ihm lag die Abzweigung, jener von Unkraut umwucherte alte Weg zur Zinnmine. Geradeaus verlief die Straße nach Whispering Willows. Dorthin wanderte der Elfenspion, und wenn Rocky ihn noch einholen wollte, musste er sich allmählich beeilen.
Aber
wollte
er ihn einholen? Wollte er wirklich nach Whispering Willows?
»Oh Mann, ich kann das nicht!« Rocky stöhnte frustriert. »Es wäre wirklich eine tolle Story gewesen. Aber der Preis! Dieser fürchterliche Preis!«
Ein Maunzen scholl durchs Moor, aus tiefer, rauer Katzenkehle. Aurelia fuhr hoch, war sofort hellwach und hielt sich gar nicht erst mit ängstlichem Gackern auf. Unverzüglich rannte sie los, begann zu flattern und hob ab. Das Moorhuhn flog in Richtung Zinnmine, und Rocky ließ es gewähren. Er bedauerte sehr, den Elfenspion für immer verloren zu haben, aber sein Leben war ihm wichtiger als eine gute Story.
5 Leprechaun
Irland –
The Emerald Isle
, wie ihre Bewohner die Insel nicht ohne Stolz nannten. Das Gras dort war tatsächlich smaragdgrün, deutlich anders gefärbt als beispielsweise »nebenan« in Cornwall, jenseits der Irischen See. Wer das laute, pulsierende Dublin verließ und sich ins Inland begab, stieß auf eine Welt zum Verlieben: prachtgrüne Weite, wohin das Auge sah. Schöne Musik, Schlösser und Burgen irischer Bauart, einsame Landstraßen und Dörfer mit Menschen voll herzlicher Gastfreundlichkeit. Wäre nicht der unselige Konfessionskrieg, der das Land in zwei Lager spaltete, die letztlich doch denselben Gott anbeteten, Irland wäre ein wahres Paradies.
Nun im Dezember war das Land allerdings alles andere. Es präsentierte sich winterlich ungemütlich, mit Wind, Nässe und braunem Matsch statt grünen Wiesen – nicht besonders einladend zum Spazierengehen. Ein Trecker tuckerte an Nadja und David vorbei und hielt schaukelnd an. Der angehängte Heuwagen war hoch beladen mit Pellets.
»Wollt ihr nach Tara?«, rief der Fahrer über das Stampfen des Motors hinweg. »Dann kann ich euch mitnehmen.« Er wies mit dem Daumen nach hinten. »Springt auf!«
Nadja lachte unsicher. »Das ist nett von Ihnen, Mister …?«
»O’Kelly. Patrick O’Kelly.«
»Ja. Wir sind Nadja Oreso und David Bonet. Wie ich schon sagte: Es ist nett von Ihnen, dass Sie uns mitnehmen wollen. Aber wie sollen wir da hochkommen?« Sie zeigte auf den Anhänger.
Der Bauer lachte. »Ihr seid aus der Stadt, was? Hinten ist ein Stück Ladefläche frei. Das lassen wir
immer
frei, damit man aufsteigen und abladen kann.«
Nadja erwiderte sein Lachen. »Wir sind tatsächlich aus der Stadt. Und vielen Dank auch!«
Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie den Anhänger entlangging. Am Ende der Ladefläche war eine schmale Aussparung zwischen den in Folie eingeschweißten Pellets, gerade breit genug, dass jemand darin stehen und arbeiten konnte. Oder für zwei Personen, die sich eng aneinander kuschelten.
David umfasste die schlanke Taille seiner Gefährtin und half ihr auf den Wagen.
»Wir beide im Heu – wie romantisch!«, sagte er grinsend. »Na gut, nicht direkt Heu, aber damit bin ich auch zufrieden.« Seine spitzen Ohren waren gerötet von der Kälte, und ihm zitterten die Hände.
Nadja ging es nicht besser. Doch es
wurde
besser, sobald sie zwischen die Pellets kroch, so tief hinein wie möglich. Der eisige Wind, der sie auf der Landstraße begleitet hatte, kam dort nicht hin, und wenn sich ihre Haut erst
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