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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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hätte er ihn auch hören müssen, oder?
    »Merkwürdig«, murmelte Alebin.
    Er hob den Kopf, blickte prüfend zum Himmel. Wolken zogen dahin, in großer Zahl und nicht eben langsam. Hin und wieder brach ein heller Schein durch. Alebin spürte plötzlich ein Kribbeln im Nacken. Etwas kam auf Whispering Willows zu, etwas Magisches, dessen Aura den Elfen berührte. Er äugte hinaus, suchte angestrengt nach der Quelle. Nach einer Bewegung, einem Schatten. Verdammt, warum war es draußen nur so dunkel? Wieder schaute er zum Himmel hoch; flüchtig nur. Gerade lang genug, um zu sehen, wie die Wolkendecke aufriss.
    Ein silberner Herbstmond stand über dem Dorf, groß und voll, ließ sein unwirkliches Licht herunterfließen aufs Bodmin Moor. Hausdächer, Bäume und dürres Gesträuch, eben noch in der Nacht verborgen, badeten in milchweißer Helligkeit. Sie lief den toten Bacharm entlang, rief hier und da ein Glitzern hervor und warf einen hageren Schatten auf das versumpfte Gewässer.
    Alebin fuhr zurück, atmete scharf ein.
    An der Klapperbrücke stand die Torfmuhme. Reglos, schweigend. Und sie sah zu ihm hoch.
    Nur zu ihm.

12 Das versteinerte Kind
    Eines Morgens lag Raureif auf dem Heidekraut, und ein frostiger Hauch zog durchs Bodmin Moor. Bäume und Sträucher hatten ihr Herbstlaub verloren. Kahl ragten sie auf, reckten die dürren Zweige wie anklagend dem trüben Himmel entgegen. Soeben ging die Sonne auf, ein schwaches Novemberlicht ohne Glanz.
    Alebin klappte den Mantelkragen hoch, als er das
Grumpy Hog
verließ. Sorgsam wickelte er den Schal um seinen Hals, den Mistress Braxton ihm gestrickt hatte, und zog die Mütze ihres seligen Gemahls über die Ohren. Dann trat er auf den Dorfplatz.
    Atemwolken umspielten den rothaarigen Elfen, während er sich umsah. Nach dem Regen der letzten Tage hatten sich Pfützen auf dem Platz gebildet; große Dinger, die nicht mehr rechtzeitig ausgetrocknet waren, bevor der Frost kam. Jetzt lagen sie da – tückisch mit Laub und verwehten Zweigen bestreut, damit man auch ja auf ihre spiegelglatte Oberfläche trat und schreiend wegrutschte, zum Vergnügen der Kinder.
    Kinder … Alebin verzog das Gesicht. Er hasste diese kleinen Kreaturen, aber ganz besonders die von Whispering Willows. Rosige Haut, glänzende Augen, immer aktiv, immer vergnügt. Dabei waren es uralte Greise. Das ganze schreckliche Ausmaß des Fluches hatte sich Alebin erst nach und nach offenbart. Alle Dorfbewohner waren davon betroffen, alle waren an ein und demselben Tag zu befristeter Unsterblichkeit verdammt worden. Egal in welchem Alter oder in welcher Verfassung sie sich befunden hatten. Es gab einen Greis im Dorf, den hatte es auf dem Sterbebett erwischt, und da lag er nun seit 144 Jahren. Eine Schwangere hatte sich erhängt, nach Jahrzehnten des vergeblichen Wartens auf ihr Baby.
    Keine Familie, die nicht irgendeinen Kummer trug, und sei es nur ein gebrochenes Bein, das nie mehr heilen würde. Kein Haus, das den Fluch nicht als das erlebt hätte, was er war. Und doch hielten die Menschen am Bach der wispernden Weiden ihr Leben fest, verteidigten diese unselige Existenz mit aller Entschlossenheit. Auch das hatte Alebin mittlerweile herausgefunden.
    Auf dem Platz angekommen, wandte er sich nach Norden. Er war extra früh aufgestanden, um möglichst wenig Leuten zu begegnen, denn er suchte noch immer nach dem versteinerten Wechselbalg, und er hatte keine Lust auf die bösen Blicke, die ihm seit Neuestem dabei folgten. Seine Absichten hatten sich bestimmt nicht herumgesprochen, dafür war er zu vorsichtig und verschwiegen.
    Aber die Dorfbewohner hätten schon ziemlich blöde sein müssen, um nicht wenigstens zu ahnen, was er im Schilde führte. Ohne Grund ging niemand um diese Jahreszeit durch die kahlen Gärten und starrte auf jedes Beet hinab, als läge dort ein offenes Buch. Es war auch nicht üblich, an den Häusern entlangzuschleichen und durch jedes Fenster zu sehen. Ganz zu schweigen vom Betreten fremder Hühnerställe. Oder dem Umschichten der Strohballen in der Scheune.
    Unwirsch blies Alebin die Backen auf. So langsam hatte er alles abgesucht – und nichts gefunden. Viel Zeit blieb nicht mehr bis zum Jahrestag und auch nicht viele Stellen, an denen er noch suchen konnte. An diesem Morgen war der Friedhof dran, dorthin führte sein Weg.
    Irgendwo klappten hölzerne Fensterläden auf, knarrte eine Haustür. Alebin machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Er hätte kein freundliches Gesicht zu sehen

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