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Seidendrachen

Seidendrachen

Titel: Seidendrachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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beschloss, sich noch in dieser Nac h t den Pater vorzuknöpfen und ihn zum Sprechen zu bringen. Er schüt t el t e Jarin kurz, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen. „ W eißt du, wo dieser Abbé sich aufh ä lt?“
    „ In St. Claire bei Abbé Laurent “ , gab Jarin A u skunft, obwohl es so stockend klang, a ls würde er unter e in e m hef t igen Schl u ckauf l e iden.
    „ Schlaf dich aus, Jarin. Ich werde mo r gen nach dir sehen. Es gibt n i cht nur schl e chte Neuigk e iten, glaub mir “ , sagte Nico l as m i t l ei d ig, reic h te i h m eines seiner T aschentüc h er und strich dem Jungen über das goldene, le i cht gewel l te Haa r . Jarin l i eß d a s e m o t ionslos über sich e r gehen. Dann ver l ieß der Hauptmann Jarins Sch l afz i mme r , u m sich unverzü g lich nach St. Claire zu begeben. Zw e i sei n er Leute soll t en ihn auf dieser Mission begl e iten, und so ver l ießen nach ei n er halben Stunde drei Rei t er der könig l ichen Garde i m starken T rab das Schloss.
     
    *
     
    A m nächs t en Mo r gen glaubte Jarin aus ein e m bösen Alptra u m zu erwac h en. Sein Kopf sc h m er z te. Sei n e Augen waren i m m e r noch ger ö tet und ausgebrannt von za h llosen T ränen. W i e an e in e m unsichtba r en Faden gezo g en erhob sich der junge Mann und ging nach nebenan in Akios Z i mme r . Die s m a l standen keine W achen vor seiner Türe. Er dreh t e den golde n en Knauf und ö f fnete die Flüg e ltü r . D a s Fenster stand weit o f fen. Draußen regne t e es. Das W e tter passte zu seiner St i m m u ng. Er ging hin und schloss es. Dann bl i ckte er sich Abschied nehmend um.
    Akios schwarzer Seiden k i m ono lag auf d e m Bett. Er na h m ihn zärt l ich auf und ve r grub sein Gesicht da r in. Die Seide kühl t e seine brennenden Augen und W angen, doch sie lin d erte nic h t den Sc h m e rz in seinem Inneren. T ief a t m e te er Akios süßen Sandelho l zduft ein, der immer noch in dies e m Kleidungsstück hing. Es tat so gut, den Gefährten ein l e tztes Mal auf diese ätherisc h e W eise in sich aufzune h m e n. Er würde diesen Kimono zur Erin n erung m i tne h men. Oder soll t e er ihn Akio ins Grab legen?
    Jarin schreck t e a u s seinen Erinnerun g en hoch. Akio war kein Christ. W o würde m a n seine Leic h e hinbringen? Er erschrak bis ins Mark und l i ef, den K i m ono i m m e r noch in der Hand, aus d e m Z i mme r , die Gänge e n tlang, die T reppen hinun t er bis zur Schlosskape l le. Dort war n i emand aufgebah r t. Sti l le und Kerzensc h ein u m f ingen ihn. W ie h a tte er auch denken können, d a ss man einen Hei d en hierher brac h te!
    V o rne in der ersten Bank knie t e der Pries t e r , der h i er j eden Sonntag die Hei l ige M e sse las, und dankte Gott la u t für die Err e ttung d e s Königs.
    „ W o ist e r ? “, fuhr Jarin den Betenden an.
    Dieser schreckte hoch. „ W o ist we r , mein Sohn? “ , frag t e er verdu t zt. „ W o ist der Le i chn a m des Jungen, der König Louis ger e tt e t hat?“ schrie Jarin ihn an.
    „ Er soll mo r gen außerhalb der Friedhofsmauer in ungewei h ter Erde besta t tet werden “ , mu r m e lte der Geist l iche fast schuldbewusst. „ Die Kirche gest a tt e t keine Heiden auf chris t lic h en Friedhö f en. Er wird daher wie ein Selbstmörder behande l t.“
    „ Aber d i e Kirche wol l te ihn bedenkenlos a u snu t zen und hä t te dafür sogar u n seren König getöt e t “ , zischte Jarin wütend. „Und E u ch habe ich j ahrelang vertraut und ge a chtet.“ W ieder l i ef er davon. Akio musste noch im Schloss sein. Es war keine Kutsche mit ein e m Holzsa r g gek o m m e n oder abgefahren. V e r m u t lich hatte m a n ihn in der K r y p ta aufgebahrt. Dort war es kühl und trocken. Nun, den ino f fizi e llen W eg dorthin kann t e er j a bere i ts, den o f fi z iel l en konnte er nicht ne h m en.
    Ohne zu übe r legen na h m er den gehe i m e n W eg hinunter in ihr gemeins a mes V ersteck und tatsäc h lic h : Ein läng l iches weißes Bünd e l lag auf dem st e inernen Boden. Zwei brennen d e Fackeln steckten in den W andha l terungen und schufen e in d ä m m r iges L i cht. Nach Jahrzehnten m usste dies die erste L e iche sein, die hier wieder auf ihre Besta t tung wart e te. Jarin sank auf die Knie. Er wagte es nicht, die weißen Tücher zu entfernen und noch ei n m a l in die starren Augen zu sehen. Behutsam str i ch er mit den Fingern über den verhüll t en Kopf seines Freundes. „Ich werde n i cht zu l assen, dass

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