Seidene Küsse
über Tom hinweg auf Lailas Bettseite, drückte Laila auf die Unterlage und bedeckte den Körper der Rivalin langsam und konzent riert mit klei nen feuchten Küssen, von oben nach unten. Überrascht gab sich Laila den ungewohnten Empfindungen hin.
»Oh, ist das schön. Das gefällt mir. Ihr Süßen«, spornte Tom, den der Anblick sehr erregte, sie beide an. Doch er selbst war nun zum Nebenschauplatz geworden. Die beiden Frauen überließen ihn seiner eigenen Lust, erforschten sich, berührten sich, liebkosten sich, rieben sich aneinander, vergaßen sich ganz im Liebesreigen, bis beide ihre Erlösung gefunden hatten.
Erschöpft und verschwitzt verharrten sie in einer innigen Umarmung – Laila hatte kein Zeitgefühl mehr. Als auch Tom sich Erleichterung verschafft hatte, legte er sich wieder zwischen sie – ein blonder und ein brauner Schopf auf jeder Brust.
»Es ist wunderschön mit euch beiden. So könnte es doch immer bleiben, oder?«, meinte er selbstzufrieden.
Da stand Melissa ruckartig auf, machte das Licht an und zog sich einen Morgenrock und dicke Socken an.
»Ich muss mit dir reden«, sagte sie zu Tom (wieder mit diesem trotzigen Kindergesicht) und verschwand ins Wohnzimmer.
Im Nu waren auch Tom und Laila aus dem Bett gesprungen. Sie warfen sich fragende Blicke zu und folgten Melissa ins Wohnzimmer. Die saß mit angezogenen Beinen und ernstem Blick auf ihrer Couch. Als sie sich gesetzt hatten, sagte Melissa: »Ich verstehe nicht, wie du diese Frau verlassen kannst. Siehst du denn gar nicht, wie sehr sie dich liebt?« Sie fing an zu weinen. »Es war wunderschön mit dir, Tom, wirklich, das war es.« Sie hielt inne, schniefte. »Aber wir kennen uns erst einen Monat.« Laut schluchzend brach Melissa zusammen, zerrte ein Kleenex aus der Schachtel, die Laila aus dem Bad geholt hatte, und schnäuzte sich geräuschvoll. Ihr »Ich liebe dich, Tom« ging fast in ihrem nächsten Schluchzer unter. »Aber … ich habe großen Respekt davor, wie Laila um dich kämpft. Du weißt gar nicht, wie glücklich du dich schätzen kannst, so eine Frau zu haben«, fuhr sie fort. »Geh zu ihr zurück, Tom. Etwas Besseres kann dir nicht passieren.«
Lailas Herz sprang in ihrer Brust herum vor Freude, während Tom die weinende Melissa in die Arme schloss und wie ein Kind wiegte.
Im Morgengrauen des zweiten Januar war das Russische Roulette der Emotionen entschieden.
Um sich ihre Erleichterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, ging Laila aus dem Wohnzimmer und zog sich an. Tom folgte ihr bald, lächelte sie an, küsste sie und tat dasselbe. Sie hörten Melissa durch die Räume gehen und Toms Sachen zusammensuchen. Als sie fertig waren, stand Melissa mit gepackter Tasche an der Haustür.
»Das Taxi wartet schon«, sagte sie gefasst.
Laila umarmte sie, küsste sie auf den Mund. Sie flüsterte Melissa ins Ohr: »Danke. Ich wünsche dir alles Glück der Welt.«
Als Tom sich von Melissa verabschiedete, fiel Laila unweigerlich die Duplizität der Ereignisse auf: Vor einem Monat. Sie in Morgenrock und Socken. Aufgelöst.
Für Laila, Tom und Melissa waren die Karten neu gemischt worden. Doch diesmal hatte Tom, der eigentlich ein hervorragender Kartenspieler war, zu hoch gepokert.
Im Taxi hielt Tom verliebt Lailas Hand, als sie zu sprechen begann.
»Ich habe gesehen, was ich sehen wollte. Du liebst diese Melissa, aus welchem Grund auch immer. Und das allein reicht schon, um den Weg zu mir für immer abzuschneiden, Tom.«
Er ließ sie los und sah sie entsetzt an.
»Denn ich bin etwas Besonderes. Und da du etwas Gewöhnliches brauchst, bist du bei mir falsch.«
Als das Taxi vor ihrem Haus hielt, verlangte Laila ihren Hausschlüssel zurück. Mit Tränen in den Augen kramte Tom ihn aus seiner Tasche und gab ihn ihr. Er wusste, dass er verspielt hatte.
»That’s life in the big city«, verabschiedete Laila den schluchzenden Tom, schloss die Autotür und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zur Haustür.
Picknick im Grünen
Annabelles Lieblingsgemälde war das von Eduard Manet mit der aus unerfindlichen Gründen nackten Dame inmitten einer Picknickgesellschaft im Park. Seit dem Schulausflug, bei dem sie dieses Gemälde zum ersten Mal gesehen hatte, fragte sich Annabelle, was wohl dazu geführt hatte, dass diese Dame un-bekleidet war, während alle anderen Abgebildeten Kleider trugen, wie es sich in jener puritanischen Zeit nun mal in der Öffentlichkeit geziemt hatte. Schon lange träumte sie von einem ausschweifenden
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