Seidene Küsse
Ich hatte Pläne gehabt. Pläne für Wanderausflüge, Einladungen, Veranstaltungen, romantische Kurztrips, gemeinsames Faulenzen, lustvolle Rituale. Montage hatten mir Hol ger wie der weggenom men und anderen Menschen ermöglicht, fünf lange Tage mit ihm zu verbringen. Tja, eben auch seiner Neuen, die ja eine Arbeits-koll egin von ihm ist. Irgendwann hatten ihr nicht mal diese fünf mal zwölf Stunden täglich plus der vielen gemeinsamen Überstunden gereicht, für die ich immer so großes Verständnis aufgebracht hatte (was bin ich doch für ein Schaf).
Haare shampoonieren, Spülung auftragen, Zwei-Minuten-Peeling ins Gesicht, Achseln und Beine rasieren – zum Glück war ich ein heller Typ, der weder in der Bikinizone noch an Oberschenkeln oder gar auf den Armen von unschönen Härchen geplagt wurde -, Körper einseifen, der Cellulitis mit einem Luffa-Schwamm lustlos die Stirn bieten, die ganze Veronika Mayer von oben bis unten abspülen.
Das Wasser, das meinen Körper herunterrann, schmeckte plötzlich salzig. Und dann flossen die Tränen so halt- und hemmungslos, dass ich genauso gut die Dusche hätte abstellen können. Von den sieben Litern Flüssigkeit, aus denen ein Mensch besteht, liefen mindestens drei Komma fünf aus mir heraus.
So heult man also Rotz und Wasser. Dehydriert man da nicht irgendwann?
Ob die Nachbarn, deren Radio, Fernsehen und Telefongespräche ich immer nur allzu deutlich durch den Luftschacht mithören konnte, mein Leid akustisch teilten, war mir schnuppe. Niemand sah, wie ich erst ein Nasenloch und dann das andere zuhielt und kraftvoll in den Ausguss schnäuzte. Niemand kriegte mit, wie ich lauthals schluchzend aus der Wanne stieg, mich motorisch abtrocknete und in das feuchte Badetuch ein-wi ckelte. Niemand beob achtete, wie ich wie ferngesteu ert zu meinem Bett wankte, mich unt er der Decke verkroch, um mich weiter meinen quälenden Fantasien hinzugeben.
Ich hätte ein Drehbuch darüber verfassen können, denn ich sah alle Szenen derart plastisch vor mir, als schaute ich mir einen Film an: Holger und sie beim Sonntagsfrühstück, sie werfen sich verliebte Blicke zu. Arm in Arm bei den Wochenendeinkäufen. Im Kino eng aneinander gelehnt, Händchen haltend und sich ein XXXL-Popcorn, gezuckert, teilend.
Ich machte mir ein scharf konturiertes Bild von ihrer neuen Einrichtung, ihrem neuen Leben. Vierundzwanzig Stunden Glück. Sieben Tage lang. Und ich lag hier und heulte. Und hatte kei nen Plan.
Nachdem ich meine triefende Nase mit einem Zipfel des Badetuchs abgewischt hatte, schleppte ich mich ins Klo und griff mir eine neue Rolle Toilettenpapier.
Nicht mal Taschentücher besaß ich, was war ich runterge-kom men.
Es klingelte.
Welch ein ungewohntes Geräusch. Seit ei ner Woche wohnte ich hier, erst seit gestern stand mein Name an der Tür. Wer sollte schon zu mir wollen? Ich verfiel in eine Echsenstarre und war tete.
Es klingelte noch mal.
Sicher nur Werbung.
An Ort und Stelle putzte ich meine Nase und spülte das Papier gleich in der Toilette herunter, wischte mir mit dem verrotz-ten Badetuch notdürftig die Tränen aus dem Gesicht, schlüpfte in den flauschigen pinkfarbenen Morgenmantel, der meinem Teint so schmeichelt, und öffnete die Wohnungstür.
Da stand ein fremder Mann. Strahlend, mit einem Blumenstrauß in der Hand. Einem wirklich schönen. Das fiel mir als Erstes auf. Nur weiße und rosafarbene Blumen, passend zu meinem Morgen mantel.
»Schön, dass du Zeit für mich hast«, sagte er.
Es stimmte. Ich hatte Zeit.
Ich sagte: »Ja« – und ließ ihn rein.
Er strahlte mich weiter mit diesem offenen Lächeln an und streckte mir die Blumen entgegen. Mein erfrorenes Herz begann zu tauen.
»Ich habe nur Wasser. Aus der Leitung. Tut mir leid«, sagte ich, als hätte ich ihn erwartet.
»Macht nichts. Ich bin ja nicht zum Trinken da«, sagte er mit einem schelmischen Grinsen und folgte mir in die Küche.
Ich arr angierte die Blumen in Großmutt ers Krist allvase, während er seine »Scheinwerfer« an meinen pinkfarbenen Konturen hin abgleiten ließ. Er schien irgendwel che Er war tungen zu haben. Eindeutig. Aber in diesem Moment hätte es nicht unwichtiger sein können, was der Grund für seinen Besuch war. Diesen Mann schickte der Himmel.
Er war hier. Bei mir. Ich war nicht mehr all ein. Und ich schien ihm zu gefallen. Außerdem war er nett. Nichts anderes zählte.
Also nahm ich ihn mit in mein geräumiges Allzweckzimmer. Habe ich schon erwähnt, dass das einzige
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