Seidene Küsse
schwärmer unter wegs waren. Meine Schritte hallten unnatürlich geräuschvoll vom Trottoir wider. Kein Laut ansonsten, die Welt in schalldämpfendes Styropor gepackt. In meine üblichen Gedankenspiralen versunken, trabte ich durch unbekannte Straßen.
Ich hatte fast schon wieder mein Haus erreicht, da hielt ein Taxi vor dem Wohnblock. Eine Frau stieg aus. Da es keine andere Ablenkung gab, beobachtete ich sie ungeniert.
Sie trug die höchsten Pfennigabsätze, die ich je gesehen hatte, trat damit aber vollkommen sicher auf. Ich wäre bestimmt umgeknickt und hätte mir den Knöchel verstaucht.
Was für eine attraktive Person! Und so selbstsicher. Beneidens wert.
Sie war betont sexy, aber keinesfalls billig gekleidet.
Dolce & Gabbana,
vermutete ich.
Sie konnte nicht umhin, mich ebenfalls zu bemerken. War ja sonst niemand da. Wir sahen uns an. Wohlwollend, wie mir schien. Den Weg zum Haus gingen wir gemeinsam.
Ich sagte: »Auch ein Nachtmensch, was?«
»Notgedrungen. Ich komme von der Arbeit«, antwortete sie freundschaftlich.
»Ach?«, fragte ich erstaunt, fügte an: »Das könnte ich nicht«, und blieb vor meinem Haus stehen, nach dem Hausschlüssel kramend.
»Man gewöhnt sich an all es«, sagte sie. »Ich muss weiter. Gute Nacht.« Und sie stöckelte mit lautem Klackern von dan-nen.
»Gute Nacht«, murmelte ich und sah ihr nach, wie sie den schmalen Weg zum Nachbarhaus einschlug.
Kaum zu glauben, aber das Glück schien sich bald darauf auch wieder einmal an mich zu erinnern. Denn nicht nur mein Prinz tauchte am darauf folgenden Samstag zur selben Zeit auf; noch weitere Männer standen immer wieder unverhofft vor mei ner Tür.
Jedes Klingeln bedeutete eine willkommene Abwechslung, ein unerwartetes Abenteuer im drögen Einerlei der nach wie vor unausgefüllten Tage und verheulten Nächte. Diejenigen, die mir gefielen, ließ ich ein, die anderen schickte ich weg. Und mit denen, die bleiben durften, tat ich einfach, wozu ich gerade Lust hatte.
Jeweils zehn Prozent der Geld spen den mei ner neuen Freunde investierte ich in irgendwas zum An zie hen. Indi rekt kam ihnen das ja auch wieder zugute. Meine stolze, mysteriöse Nachbarin hatte mich so beeindruckt, dass ich fand, ein Besuch im
Dolce & Gabbana-Laden
könnte auch mir nicht schaden. Es kostete mich eine ziemliche Überwindung, mir einen zarten, eng anliegenden flitterigen Hauch von Nichts-Kleidchen zu gönnen, denn so was hatte ich mich nie zu tragen getraut. Ich fühlte mich so verwegen und sexy darin, dass ich es gleich anbehielt und die aner ken nen den Bli cke der Män ner auf der Straße genoss.
Wenn Holger mich so sehen könnte …
Würde mir bitte mal jemand die Gebrauchsanteitung für diese blöde mutierte Riesenwalnuss unter meiner Schädeldecke geben, damit ich das Dauergrübeln abstellen kann? Holger hier Holger da blablabla …
Da gab es nur eins: Blick nach vorne.
Also schaffte ich mir ein hübsches goldenes Notizbuch an, um alle Vorlieben meiner großzügigen Kavaliere festzuhalten. Ich wollte ihnen gefallen, ihnen etwas Gutes tun, wo sie alle mir doch so viel Freude spendeten. Damit setzte ich mich in ein schickes Cafe (ebenfalls etwas, das ich mir während meiner Ehe nie zugestanden hatte) und schrieb sogleich alles auf.
Jedem meiner neuen Freunde ordnete ich einen Namen zu, ihre richtigen Namen wollte ich gar nicht wissen. Neben meinem Prinzen, der pünktlich wie eine Schwarzwälder Kuckucksuhr alle vierzehn Tage samstags um dieselbe Zeit auftauchte, gab es da noch einen Ritter, einen Kalifen, einen König und einen Kaiser. Geklingelt hatten noch mehr, aber Männer, die mir als Bettel knaben oder Adjutanten erschie nen, schickte ich gleich wieder weg.
Mein Prinz war ein trickreicher Liebhaber (gemessen an dem 08/15-Programm, das ich von Holger kannte), verspielt wie ein kleines Äffchen, der mich oft zum Lachen brachte und dabei meinen Kummer wegblies wie
Pustefix.
Ein süßer Romantiker, der mir die Illusion verschaffen konnte, die einzige Frau von Bedeutung auf diesem Planeten zu sein, sodass ich nach unseren Zusammenkünften um zehn Jahre verjüngt durch den Tag hüpfte.
Die Rittereh re erteilte ich mei nem zweiten Besu cher, als er seinen Werkzeugkasten samt Bohrmaschine mitbrachte. Ohne ihn darum bitten zu müssen, packte er mich in seinen Kombi, fuhr mich in den Baumarkt, schleppte meine Einkaufstüten hoch, bohrte, nagelte und hämmerte in meiner Wohnung, dass es eine reine Freude war. Auch mich bearbeitete er wie ein
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