Seidene Küsse
zu sein, ließ sich durch seine abweisende Haltung aber davon abhalten.
»Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich eingeweiht hast«, hob er an. »Das beweist, dass zwischen uns ein großes Vertrauen besteht.«
Alice verspürte einen Anflug von Erleichterung.
»Mit meinem Verständnis kannst du allerdings nicht rechnen.« Diese konzentrierte Sachlichkeit, die ihn in seinem Beruf so erfolgreich machte, verschaffte Alice nun eine Gänsehaut.
»Aber wenn du glaubst, dass du nicht ohne diese Erfahrung leben kannst, kann ich dich sowieso nicht davon abhalten. Dazu kenne ich dich zu gut, meine liebe Alice«, sagte er und verlieh ihrem Namen einen ironischen Unterton.
Tränen der Rührung vernebelten Alices Blick, als sie zustimmend nickte. Jetzt griff sie doch nach seiner kräftigen Hand und hielt sie, ohne es zu merken, so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden.
»Ich brauche dich, Bernd«, flüsterte sie.
»Wenn du mich brauchst, werde ich für dich da sein.« Er sah ihr forschend, aber distanziert in die Augen. Seinem Blick ausweichend, fügte sie kaum hörbar hinzu: »Danke. Ich weiß, ich hab sie nicht mehr alle. Verzeih. Nichts hat mich bisher derart beschäftigt.«
Tage, ja, Wochen gingen ins Land, in denen Bernd seine Frau einer ständigen perfiden Prüfung unterzog. Jede Zeitung in ihrem Haushalt legte er so aufgeschlagen zurecht, dass ihr unwei-gerlich die einschlägigen Annoncen ins Auge springen mussten:
Filmproduktion sucht zeigefreudige Darsteller/innen.
Jede Annonce löste bei Alice neue Fantasien aus. Jede neue Szenerie, die sie sich ausmalte, verschaffte ihr Schuldgefühle, die sie davon abhielten, ihren Wunsch in die Tat umzusetzen. Bernds Strategie schien zu funktionieren.
Doch dann war da dieser Aufruf. Ausgerechnet in der Sonntagszeitung. Für ein Casting. In ihrer Stadt. Nicht in irgendeinem nie gehörten Provinznest ohne eigenes Autokennzeichen, wo Pornoproduktionen für gewöhnlich eine unscheinbare Wohnsiedlung als angeblich seriöse Firmenadresse nutzten. Wenn das keine Botschaft vom Universum war! Entschlossen trug Alice den Termin für nächsten Dienstag, sechzehn Uhr, in ihren
Palm
ein. Sie würde zurück sein, bevor Bernd von der Arbeit kam.
Pingelig, wie sie war, bereitete sich Alice auch auf ihr Bewerbungsgespräch mit größter Sorgfalt vor. Zu diesem Anlass leistete sie sich sogar etwas, das sie zusammen mit ihrem Mann in einer Fernsehsendung gesehen und schnell heimlich notiert hatte, bevor er desinteressiert umgeschaltet hatte: einen Intimfriseur, der Hausbesuche machte. Obwohl sie mit ihrer Figur vollauf zufrieden war, wusste Alice, dass sie mit ihren achtunddreißig Jahren und ohne die üblichen »Accessoires« wie Silikonbrüste nur eine einzige Chance hatte: Sie musste etwas Besonderes bieten. Piercings fand sie unhygienisch, aber so ein modisches Schamhaarstyling konnte vielleicht den entscheidenden Akzent setzen.
So mutig war sie dann doch nicht, dass sie diese sehr private Tätigkeit von einem fremden Mann durchführen ließ. Als es am Dienstagmorgen klingelte, stand eine vierschrötige Friseu-rin, die besser in einen Vorort-Salon für Senioren gepasst hätte, vor der Tür.
Die Behandlung sollte auf dem Esstisch stattfinden. Emotionslos wurde Alice angewiesen, ihren Unterkörper freizumachen und sich breitbeinig an die Kante des Tisches zu legen. Keinerlei Regung ihrer stoischen Miene verriet, ob die Friseurin einen störrischen Pudel trimmte, einer blauhaarigen Dame eine Wasserwelle ondulierte oder sich eben Alices sensibelster Stelle widmete. Staunend sah Alice zu, wie die resolute Haarkünstlerin aus ihrem schwarzen Wildwuchs gekonnt ein feuerrot leuchtendes Herz auf ihren Venushügel zauberte. Und konnte nicht verhindern, dass sie bei den ungemein nüchternen Berührungen der fremden Hände und der kalten Rasierklinge an ihrem zarten Lippenpaar dennoch feucht wurde.
Peinlich berührt gab Alice der eigentümlichen Fachkraft ein viel zu hohes Trinkgeld. Ihr Schoß pulsierte.
Später.
Bevor sie sich daranmachte, den Rest ihres kurvenreichen Körpers von weiteren lästigen Haaren zu befreien, griff sie nach dem Handstaubsauger und beseitigte alle Spuren der intimen Dienstleistung.
Zugegeben, Pornos waren unbekanntes Terrain für Alice, und sie hatte absichtlich davon abgesehen, sich mittels einschlägiger Filme über das Bevorstehende zu informieren, denn eben das erlaubte es ihr, sich ganz ihren eigenen Vorstellungen hinzugeben. Anregungen für ihr Styling boten
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