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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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obwohl ich gerne noch dem Metzger nachgeschaut hätte, wie er den Weg in mein Dorf zurücklegte. Als wir oben waren, sagte sie: »Du hast mir einmal einen großen Gefallen erwiesen,
als du mir bei meiner Aussteuer geholfen hast. Nun kann ich dir ein bisschen von dieser Schuld zurückzahlen.« Sie öffnete eine Truhe und holte eine dunkelblaue Jacke mit einem hellblauen Seideneinsatz heraus, in den Wolken eingewebt waren. Diesen Seideneinsatz kannte ich noch von der Jacke, die Schneerose an dem Tag, an dem wir uns kennen gelernt hatten, getragen hatte. Sie bot sie mir an. »Es wäre mir eine Ehre, wenn du sie trägst, wenn du deinen Mann wiedersiehst.«
    Schneerose sah schrecklich aus, aber ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, was für ein Bild ich meinem Mann bieten musste. Ich hatte meine lavendelfarbene Seidenjacke mit der Chrysanthemenstickerei volle drei Monate getragen, und sie war schmutzig und zerrissen. Und als ich mich im Spiegel ansah, während mir Wasser zum Baden warm gemacht wurde, stellte ich fest, dass die drei Monate in Schlamm und Schnee unter einer gnadenlosen Sonne in großer Höhe auch auf meinem Gesicht Spuren hinterlassen hatten.
    Ich hatte nur die Zeit, die Stellen zu waschen, die er zuerst sehen oder riechen würde – Hände, Arme, Gesicht, Hals, Achseln und zwischen den Beinen. Schneerose bemühte sich nach Kräften um meine Haare. Sie steckte die schmutzige, verfilzte Masse zu einem Knoten zusammen und verbarg ihn unter einem sauberen Kopftuch. Gerade als sie mir half, in eine Hose aus ihrer Mitgift zu schlüpfen, hörten wir die Hufe eines Ponys und die knarrenden Räder eines Karrens näher kommen. Rasch knöpfte sie mir die Jacke zu. Wir standen einander gegenüber. Sie legte die Handfläche auf das himmelblaue Seidenviereck auf meiner Brust.
    »Du siehst schön aus«, sagte sie.
    Vor mir sah ich den Menschen, den ich mehr als alle anderen liebte. Dennoch beschäftigte mich, was sie vor unserem Abstieg aus den Bergen über mein angebliches Mitleid gesagt hatte. Ich wollte nicht von hier weg, ohne dass ich ihr das erklärt hatte.

    »Ich habe nie gedacht, dass du -«, ich suchte nach taktvollen Worten, gab aber auf, »- dass du unter mir stehst.«
    Sie lächelte. Mein Herz schlug an ihrer Hand. »Keine Lügen, hast du gesagt.«
    Bevor ich ein weiteres Wort sagen konnte, hörte ich die Stimme meines Mannes. »Lilie! Lilie! Lilie!«
    Damit rannte ich – ja, ich rannte – nach unten und hinaus. Als ich ihn sah, fiel ich auf die Knie und legte den Kopf an seine Füße, so sehr schämte ich mich dafür, wie ich wohl aussah und roch. Er hob mich auf und nahm mich in die Arme.
    »Lilie, Lilie, Lilie...« Seine Stimme klang ganz erstickt, während er mich immer wieder küsste, ohne darauf zu achten, dass die anderen uns zusahen.
    »Dalang …« Noch nie zuvor hatte ich seinen Namen ausgesprochen.
    Er nahm mich an den Schultern und schob mich zurück, so dass er mein Gesicht sehen konnte. Tränen glitzerten in seinen Augen, dann zog er mich wieder zu sich und drückte mich fest.
    »Ich musste alle aus Tongkou herausbringen«, erklärte er, »dann musste ich dafür sorgen, dass die Kinder sicher untergebracht sind...«
    Diese Maßnahmen, die ich noch nicht ganz verstand, waren es, die meinen Mann vom Sohn eines guten und großzügigen Oberhaupts selbst zu einem sehr geachteten Oberhaupt gemacht hatten.
    Er zitterte am ganzen Körper, als er hinzufügte: »Ich habe viele Male nach dir gesucht.«
    In unseren Frauenliedern singen wir oft: »Ich hatte keine Gefühle für meinen Mann« oder »Mein Mann bringt mir keine Gefühle entgegen.« Diese Zeilen sind sehr populär und tauchen in vielen Gesängen immer wieder auf, aber an diesem Tag empfand ich tiefe Gefühle für meinen Mann und er für mich.
    Meine letzten Momente in Jintian gingen wie in einem Nebel
vorbei. Mein Mann zahlte dem Metzger eine anständige Belohnung. Schneerose und ich umarmten uns. Sie bot mir an, ich könne den Fächer mit nach Hause nehmen, aber ich wollte, dass sie ihn behielt, denn ihr Kummer war noch frisch, während ich nur Glück verspürte. Ich verabschiedete mich von Schneeroses Sohn und versprach, ihm ein paar Bücher zu schicken, so dass er die Männerschrift lernen konnte. Schließlich beugte ich mich noch zu Schneeroses Tochter hinab. »Ich werde dich sehr bald wiedersehen«, sagte ich. Dann stieg ich in den Karren, und mein Mann ließ die Zügel schnalzen. Ich drehte mich zu Schneerose um, winkte und wandte

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