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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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geschäftstüchtig gewesen wäre. Allerdings hatte sie noch ihren Körper, dessen sie Herr werden musste. Sie ließ die Leute wissen, dass sie unantastbar war, indem sie Puder auflegte, um jedwede Schönheit zu verdecken, die einmal in ihrem Gesicht gelegen haben mag, und indem sie sich auffällig kleidete, um sich von den verheirateten Frauen in unserem Landkreis abzuheben. Nun musste sie Ende sechzig sein und hatte es nicht mehr nötig, sich hinter Puder und grellbunter Seide zu verstecken. Sie war eine alte Frau – immer noch schlau, immer noch geschäftstüchtig, aber sie war mit einem Makel behaftet, den ich nur zu gut kannte. Sie liebte ihre Nichte.
    »Dame Lu, es ist zu lange her«, sagte sie und ließ sich auf einen Stuhl im Hauptraum fallen. Als ich ihr keinen Tee anbot, sah sie sich vorsichtig um. »Ist Euer Ehemann da?«
    »Meister Lu wird später nach Hause kommen, aber Ihr handelt übereilt. Meine Tochter ist noch zu jung, als dass er die Hochzeitsverhandlungen für sie beginnen sollte.«
    Ehrenwerte Frau Wang schlug sich auf den Schenkel und prustete. Als ich nicht mitlachte, fasste sie sich. »Ihr wisst, dass ich nicht deshalb hier bin. Ich bin gekommen, um über einen laotong -Bund zu sprechen. Das geht nur Frauen etwas an.«

    Mit dem Fingernagel meines Zeigefingers klopfte ich langsam gegen die Armlehne meines Teakholzstuhls. Auch ich fand das Geräusch nervtötend, aber ich hörte nicht auf.
    Sie langte in ihren Ärmel und zog einen Fächer heraus. »Den habe ich für Eure Tochter mitgebracht. Vielleicht darf ich ihn ihr geben.«
    »Meine Tochter ist oben, aber Meister Lu würde es nicht gutheißen, wenn ihr etwas vor Augen kommt, das er nicht zuerst begutachtet hat.«
    »Aber, Dame Lu«, vertraute mir Ehrenwerte Frau Wang an, »er ist doch in unserer Frauenschrift verfasst.«
    »Dann gebt ihn mir.« Ich streckte die Hand aus.
    Die alte Kupplerin sah meine Hand zittern und zögerte. »Schneerose …«
    »Nein!« Das entfuhr mir viel zu barsch, aber ich konnte diesen Namen einfach nicht hören. Ich fasste mich wieder, dann sagte ich: »Den Fächer, bitte.«
    Sie gab ihn mir widerstrebend. In meinem Kopf hatte ich eine ganze Armee von Pinseln mit schwarzer Tusche, die die Gedanken und Erinnerungen auslöschten, die sich immer wieder einstellten. Ich rief mir die Härte der Bronzestatuen im Ahnentempel vor Augen, die Härte des Eises im Winter und die Härte von Knochen, die unter einer erbarmungslosen Sonne getrocknet waren. Mit einer raschen Bewegung öffnete ich den Fächer.
    Es heißt, bei dir im Haus gibt es ein Mädchen von gutem Charakter, das sich auf die weiblichen Künste versteht. Das waren die ersten Zeichen, die mir Schneerose vor so vielen Jahren geschrieben hatte. Ich blickte auf und sah, wie Frau Wang mich anstarrte und auf meine Reaktion wartete, doch ich verzog keine Miene, und meine Gesichtszüge waren so friedvoll wie die Oberfläche eines Teichs in einer stillen Nacht. Unsere zwei Familien pflanzen Gärten. Zwei Blumen erblühen. Sie sind bereit, sich zu treffen. Du und ich sind im selben Jahr geboren. Wollen
wir Weggefährtinnen sein? Gemeinsam werden wir uns über die Wolken erheben.
    In jedem der sorgfältig gemalten Zeichen hörte ich Schneeroses Stimme. Ich ließ den Fächer zuschnappen und streckte ihn Frau Wang hin. Sie nahm ihn meiner ausgestreckten Hand nicht ab.
    »Ehrenwerte Frau Wang, ich glaube, da hat es ein Missverständnis gegeben. Die acht Zeichen dieser beiden Mädchen passen nicht zusammen. Sie wurden an unterschiedlichen Tagen in unterschiedlichen Monaten geboren. Was noch wichtiger ist, ihre Füße haben schon nicht zusammengepasst, bevor das Binden angefangen hat, und ich bezweifle, dass sie es danach tun werden. Und« – ich wies mit träge schweifender Hand auf den Hauptraum – »die Familienverhältnisse passen nicht zueinander. Das ist alles hinlänglich bekannt.«
    Ehrenwerte Frau Wang kniff die Augen zusammen. »Glaubt Ihr, ich weiß nicht, was wirklich hinter all dem steckt?« Sie schnaubte. »Lasst mich sagen, was ich weiß. Ihr habt Euren Bund ohne Erklärung beendet. Eine Frau – Eure laotong – weint Tränen der Ratlosigkeit …«
    »Ratlosigkeit? Wisst Ihr denn, was sie getan hat?«
    »Redet mit ihr«, fuhr Frau Wang fort. »Brecht kein Vorhaben ab, auf das sich zwei liebende Mütter geeinigt haben. Zwei Mädchen haben eine glänzende Zukunft vor sich. Sie können so glücklich werden wie ihre Mütter.«
    Ich konnte dem Vorschlag der

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