Seidenfächer
ein Beutel, und der Vorderfuß ragt spitz hervor, da wird ihr Mann an sein eigenes Glied erinnert. Dieser glückliche Mann wird den ganzen Tag an das Liebesspiel denken.« Damals verstand ich noch nicht, was das bedeutete. Als ich es dann tat, war es mir peinlich, dass sie vor Mama und Tante von solchen Dingen gesprochen hatte. Andererseits hatten sie mit der Heiratsvermittlerin mitgelacht. Wir drei Mädchen fielen mit ein, aber wie gesagt, diese Worte und ihre Bedeutung lagen damals weit jenseits unserer Erfahrung und unseres Wissen.
In diesem Jahr trafen sich die Schwurschwestern von Älterer Schwester bei uns zum Tag des Stierkampfs, am achten Tag des vierten Mondmonats. Die fünf Mädchen zeigten schon jetzt, wie gut sie ihren zukünftigen Haushalt verwalten würden, indem sie den Reis, den ihre Familien ihnen zur Gründung des Schwesternbunds geschenkt hatten, vermietet hatten und mit ihren Einnahmen nun ihre Feiern finanzierten. Jedes Mädchen brachte ein Gericht von zu Hause mit – Reisnudelsuppe, das Grün von roten Rüben mit tausendjährigem Ei, Schweinsfüße in Chilisauce, eingemachte lange Bohnen und süße Reiskuchen.
Es wurde auch viel gemeinsam gekocht. Die Mädchen rollten zusammen Klöße, die dann gedämpft und in eine Mischung aus Sojasauce, Zitronensaft und Chiliöl getunkt wurden. Sie aßen, kicherten und erzählten sich Nushu-Sagen wie »Die Geschichte von Sangu«. Darin wird geschildert, wie die Tochter eines reichen Mannes durch viele Höhen und Tiefen hindurch zu ihrem armen Ehemann hält, bis sie beide zur Belohnung für ihre Treue Mandarine wurden. Eine weitere war »Der Zauberkarpfen«, in dem sich ein Fisch in eine schöne junge Frau verwandelt, die sich in einen glänzenden Gelehrten verliebt, um dann ihre wahre Gestalt zu offenbaren.
Aber am allerliebsten mochten sie »Die Geschichte von der Frau mit drei Brüdern«. Sie konnten sie nicht ganz auswendig, aber sie baten nicht Mama, den Frage- und Antwortgesang anzuführen, obwohl sie sich viel von dem Text gemerkt hatte. Die Schwurschwestern baten stattdessen Tante, sie durch diese Geschichte zu führen. Schöner Mond und ich fielen in ihre Bitten mit ein, weil diese viel geliebte, aus dem Leben gegriffene Erzählung – die gleichzeitig tragisch und voll schwarzem Humor war – für uns ein guter Anlass war, den Zwiegesang zu üben, der zu unserer Frauenschrift gehörte.
Eine von Tantes Schwurschwestern hatte ihr die Geschichte als Geschenk auf ein Taschentuch aufgestickt. Tante zog das Stück Stoff heraus und faltete es vorsichtig auseinander. Schöner Mond und ich durften neben ihr sitzen, damit wir die gestickten Zeichen mitlesen konnten, während sie sang.
»Eine Frau hatte drei Brüder«, begann meine Tante. »Die Brüder hatten alle eine Ehefrau, aber sie selbst war nicht verheiratet. Obwohl sie tugendhaft war und hart arbeitete, wollten ihr die Brüder keine Mitgift stellen. Sie war furchtbar unglücklich! Was sollte sie tun?«
Die Stimme meiner Mutter antwortete: »Sie ist so traurig, sie geht in den Garten und hängt sich an einem Baum auf.«
Nun sangen Schöner Mond, meine Schwester, die Schwurschwestern und ich im Chor: »Der älteste Bruder geht durch den Garten und tut so, als würde er sie nicht sehen. Der zweite Bruder geht durch den Garten und tut so, als würde er nicht sehen, dass sie tot ist. Der dritte Bruder sieht sie, bricht in Tränen aus und bringt ihren Körper ins Haus.«
Gegenüber blickte Mama auf und merkte, dass ich sie ansah. Sie lächelte, vielleicht weil sie sich freute, dass ich nichts von dem Text weggelassen hatte.
Tante begann den Zyklus von neuem. »Eine Frau hatte drei Brüder. Als sie starb, wollte sich niemand um ihren Körper kümmern. Obwohl sie tugendhaft war und hart gearbeitet hatte, wollten ihre Brüder ihr nicht dienen. Das war furchtbar grausam! Was passierte dann wohl?«
»Sie wird im Tod missachtet wie im Leben, bis ihr Körper anfängt zu stinken«, sang Mama vor.
Wieder antworteten wir Mädchen mit dem bekannten Refrain. »Der älteste Bruder gibt ein Stück Stoff, um ihren Körper zu bedecken. Der zweite Bruder gibt zwei Stücke Stoff. Der dritte Bruder hüllt sie in so viele Tücher wie möglich, damit sie es im Jenseits warm hat.«
»Eine Frau hatte drei Brüder«, fuhr Tante fort. »Nun, da sie für ihre Zukunft als Geist gekleidet ist, wollen die Brüder kein Geld für einen Sarg ausgeben. Obwohl sie tugendhaft war und hart gearbeitet hatte, sind ihre Brüder
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