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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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ist das mit Frauen. Man kann seinem Schicksal nicht entgehen. Es ist vorherbestimmt.«
    Solche Sätze von meiner Tante zu hören war ein Schock – sie war doch die Einzige in unserem Haushalt, bei der man sich immer darauf verlassen konnte, dass ihr etwas Lustiges einfiel, die immer davon sprach, wie glücklich sie und Onkel bei ihrem Liebesspiel waren, und die uns immer fröhlich beim Lernen anleitete. Schöner Mond langte herüber und drückte mir die Hand. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie diese Wahrheit hörte, die bis zu diesem Moment noch nie laut im Frauengemach ausgesprochen worden war. Noch nie zuvor hatte ich mir überlegt, wie schwer das Leben für Tante gewesen war, aber nun dachte ich an die vergangenen Jahre zurück und dass sie immer ein fröhliches Gesicht aufgesetzt hatte, obwohl ihr Leben eine klare Enttäuschung gewesen war.
    Es erübrigt sich zu sagen, dass Ältere Schwester davon nicht getröstet wurde. Sie schluchzte noch heftiger und hielt sich die Ohren zu. Mama musste schließlich etwas sagen, und als sie es tat, kamen ihre Worte aus dem tiefsten Teil des yin – negativ, dunkel und weiblich.
    »Du hast weggeheiratet«, sagte Mama seltsam fern. »Du ziehst in ein anderes Dorf. Deine Schwiegermutter ist grausam. Deinem
Mann liegt nichts an dir. Wir wünschen uns, du würdest uns nie verlassen, aber jede Tochter heiratet einmal weg. Alle sind sich darin einig, und alle machen das so. Du kannst weinen und betteln, nach Hause kommen zu dürfen, wir können trauern, weil du weg bist, aber du hast keine Wahl – und wir auch nicht. Die alte Redensart sagt es ganz klar: »›Wenn eine Tochter nicht wegheiratet, ist sie nichts wert; wenn das Feuer nicht auf dem Berg wütet, wird der Grund nicht fruchtbar sein.‹«

TAGE DES HAAREHOCHSTECKENS

DAS FEST DER KÜHLEN BRISE
     
     
    S chneerose und ich wurden fünfzehn. Die Haare wurden uns im Phönixstil hochgesteckt, zum Zeichen, dass wir bald heiraten würden. Wir arbeiteten fleißig an unserer Mitgift. Wir sprachen leise. Wir liefen anmutig auf unseren Lilienfüßen. Wir beherrschten Nushu mittlerweile perfekt, und wenn wir getrennt waren, schrieben wir uns beinahe täglich. Wir bluteten jeden Monat. Wir halfen bei der Hausarbeit mit, fegten, holten Gemüse aus dem Garten, bereiteten Speisen zu, spülten ab, wuschen Wäsche, webten und nähten. Wir galten schon als Frauen, aber wir hatten noch nicht die Pflichten verheirateter Frauen. Wir konnten noch Besuche machen und stundenlang im oberen Gemach die Köpfe zusammenstecken, uns flüsternd unterhalten und sticken. Wir liebten uns auf die Art und Weise, nach der ich mich als kleines Mädchen gesehnt hatte.
    In diesem Jahr sollte Schneerose das gesamte Fest der kühlen Brise über bei uns wohnen. Dieses Fest findet während der heißesten Zeit des Jahres statt, wenn die Vorräte der letzten Ernte beinahe aufgebraucht sind und die neue Ernte noch nicht eingebracht ist. Eingeheiratete Frauen, die niedrigsten in jedem Haushalt, werden dann für Tage oder manchmal Wochen zurück in ihr Elternhaus geschickt. Wir nennen es Fest, aber eigentlich sind es nur einige Tage, während derer ungewollte Esser vom Tisch ihrer Schwiegereltern fern gehalten werden.
    Ältere Schwester war gerade auf Dauer in das Haus ihres Mannes gezogen. Sie würde bald ihr erstes Kind zur Welt bringen und konnte unmöglich woandershin. Mama besuchte ihre
Familie und hatte Zweiten Bruder mitgenommen. Tante war ebenfalls in ihr Elternhaus gefahren, während Schöner Mond bei ihren Schwurschwestern im Dorf wohnte. Die Frau von Älterem Bruder und ihre kleine Tochter verbrachten das Fest der kühlen Brise bei ihrer Familie. Baba, Onkel und Älterer Bruder waren froh, ihre Ruhe zu haben. Von Schneerose und mir wollten sie nichts, außer heißem Tee, Tabak und aufgeschnittener Wassermelone. Also konnten Schneerose und ich die drei Nächte des Fests der kühlen Brise allein im oberen Gemach verbringen.
    In der ersten Nacht lagen wir nebeneinander. Wir trugen unsere Bandagen, unsere Nachtschuhe, die Unterkleider und die Oberkleider. Wir schoben unser Bett unter das Gitterfenster und hofften auf eine kühle Brise, aber es kam keine, es blieb sengend heiß und windstill. Bald würde Vollmond sein. Die Lichtstrahlen, die hereinkamen, wurden von unseren schweißfeuchten Gesichtern reflektiert, so dass uns noch heißer wurde. In der nächsten Nacht, die noch wärmer war, schlug Schneerose vor, dass wir unsere Oberkleider auszögen. »Hier

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