Seidenfächer
Besuch beim Alten Zuo, um seinen gebrannten Zuckertaro zu essen. Unterwegs spitzten wir immer verstohlen aus der Sänfte, wenn Frau Wang schlief. Wir sahen schmale Pfade, die von der Hauptstraße zu anderen Dörfern führten. Wir sahen Flüsse und Kanäle. Von unseren Trägern erfuhren wir, dass diese Wasserwege unseren Landkreis mit dem Rest der Nation verbanden. In unseren oberen Gemächern sahen wir nur vier Wände, aber die Männer in unserem Landkreis waren nicht so isoliert. Wenn sie wollten, konnten sie mit dem Schiff fast überallhin gelangen.
Während dieser ganzen Zeit huschten Frau Wang und Frau Gao bei uns im Haus herum wie die Hühner. Wie? Du denkst, nur weil unsere Verlobungen nun offiziell waren, hätten die beiden uns in Ruhe gelassen? Sie mussten zusehen, abwarten, heimliche Pläne schmieden und schwatzen, um ihre Investitionen zu schützen und zu sichern. Noch konnte alles Mögliche schief laufen. Offenbar hatten sie Befürchtungen wegen der vier Eheschließungen in einem Haushalt. Sie wussten nicht, ob Baba den versprochenen Brautpreis für die Frau von Älterem Bruder, angemessene Aussteuern für die drei Mädchen und, am allerwichtigsten, die Honorare für die Kupplerinnen aufbringen konnte. Schließlich spitzte sich in meinem dreizehnten Sommer der Kleinkrieg zwischen den beiden Heiratsvermittlerinnen plötzlich zu.
Es ging kaum merklich los. Wie waren im oberen Gemach, als Frau Gao anfing, sich darüber zu beschweren, dass hiesige
Familien ihre Honorare nicht rechtzeitig bezahlten, und damit zu verstehen gab, dass auch unsere Familie dazugehörte.
»Ein Bauernaufstand in den Bergen macht uns allen Schwierigkeiten«, gab sie zu bedenken. »Es kommen keine Waren herein und keine hinaus. Kein Mensch hat Käsch. Ich habe gehört, dass manche Mädchen ihre Verlobung lösen mussten, weil ihre Familien keine Mitgift mehr stellen können. Diese Mädchen werden jetzt kleine Schwiegertöchter.«
Dass es in unserem Landkreis solche Schwierigkeiten gab, war uns nichts Neues, doch was Frau Gao als Nächstes sagte, überraschte uns alle.
»Sogar das kleine Fräulein Schneerose ist nicht sicher. Ich könnte immer noch jemanden suchen, der geeigneter wäre …«
Ich war froh, dass Schneerose nicht hier war und diese Andeutung mit anhören musste.
»Ihr sprecht von einer Familie, die zu den besten im Landkreis gehört«, entgegnete Frau Wang, und ihre Stimme klang diesmal nicht wie Öl, sondern wie Steine, die knirschend gegeneinander rieben.
»Vielleicht meint Ihr gehörte , gute alte Tante. Dieser Meister hat zu viel gespielt und zu viele Konkubinen gehabt …«
»Er hat das getan, was seiner Stellung angemessen war. Euch hingegen muss man Eure Unwissenheit verzeihen. Höhere Stände sind Euch fremd.«
»Ha! Da muss ich ja lachen. Ihr erzählt Lügen, als wären sie die Wahrheit. Der ganze Landkreis weiß, was mit dieser Familie los ist. Nimmt man die Schwierigkeiten in den Bergen und dazu noch eine schlechte Ernte und Schlamperei, dann kann man ja damit rechnen, dass ein schwacher Mann zur Pfeife greift …«
Meine Mutter erhob sich abrupt. »Ehrenwerte Frau Gao, ich bin Euch dankbar für alles, was Ihr für meine Kinder getan habt, aber sie sind Kinder und sollten das nicht hören. Ich bringe
Euch zum Tor, denn Ihr habt sicherlich noch andere Besuche zu tätigen.«
Mama hob Ehrenwerte Frau Gao geradezu aus ihrem Sessel und zog sie fast zur Treppe. Sobald sie außer Sichtweite waren, schenkte meine Tante Frau Wang Tee ein. Sie saß ganz still und völlig gedankenversunken da, den Blick in die Ferne gerichtet. Dann blinzelte sie dreimal, sah sich im Zimmer um und rief mich zu sich. Ich war dreizehn und hatte immer noch Angst vor ihr. Ich hatte nun gelernt, sie mit Liebste Tante anzusprechen, aber insgeheim war sie für mich immer noch die Furcht einflößende Ehrenwerte Frau Wang. Als ich mich ihr näherte, zog sie mich nahe zu sich heran, klemmte mich zwischen ihre Schenkel und packte mich an den Armen wie damals, als wir uns zum ersten Mal gesehen hatten.
»Du darfst nie, niemals Schneerose gegenüber wiederholen, was du hier gehört hast. Sie ist ein unschuldiges Mädchen. Es muss nicht sein, dass die schmutzigen Lügen dieser Frau ihr den Sinn verderben.«
»Ja, liebste Tante.«
Sie schüttelte mich noch einmal fest. »Niemals!«
»Ich verspreche es.«
Damals verstand ich noch nicht einmal die Hälfte dessen, was da gesagt worden war. Und selbst wenn, weshalb hätte ich Schneerose diesen
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