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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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konventionell wie möglich benehmen. Von seiner Seite des Tisches aus zog er an dem roten Band. Von meiner Seite aus zog ich an dem grünen. Dann hüpfte er auf den Tisch, mitten auf die Decken, und sprang ins Zimmer. Damit waren wir offiziell verheiratet.
    Was ich in dem ersten Augenblick, in dem wir nebeneinander standen, über meinen Mann sagen konnte? Ich konnte riechen,
dass er seinen Körper von oben bis unten gereinigt hatte. Ein Blick nach unten sagte mir, dass die Schuhe, die ich für ihn gemacht hatte, hübsch auf seine Füße passten und seine rote Hochzeitshose genau die richtige Länge hatte. Doch der Augenblick verstrich, und wir gingen zum »Spaßen und Lärmen im Hochzeitsgemach« über. Die Freunde meines Mannes platzten herein; wacklig auf den Beinen und schon etwas lallend, weil sie zu viel getrunken hatten. Sie gaben uns Erdnüsse und Datteln, damit wir viele Kinder bekämen. Sie gaben uns Süßigkeiten, damit wir ein süßes Leben hätten. Aber mir reichten sie nicht einfach einen Knödel so wie meinem Mann. Nein! Sie banden den Knödel an eine Schnur und ließen ihn über meinem Mund baumeln. Sie ließen mich danach springen und sorgten dafür, dass ich nie mein Ziel erreichte. Die ganze Zeit über machten sie Späße. Du weißt schon, welche. Mein Mann sei heute Nacht stark wie ein Stier oder ich unterwürfig wie ein Lamm, oder meine Brüste sähen aus wie zwei Pfirsiche, die gleich den Stoff meiner Jacke sprengten, oder mein Mann habe so viele Samen wie ein Granatapfel, oder mit dieser und jener Stellung würden wir garantiert einen ersten Sohn bekommen. Es ist überall das Gleiche – ordinäres Gerede, das in jeder Hochzeitsnacht erlaubt ist. Und ich spielte mit, aber innerlich wurde ich immer wütender.
    Ich war nun seit Stunden in Tongkou. Jetzt war es spätnachts. Die Dorfbewohner draußen auf der Straße tranken, aßen, tanzten, feierten. Wieder wurden Feuerwerkskörper entzündet, die allen signalisierten, dass sie nach Hause gehen sollten. Endlich schloss Ehrenwerte Frau Wang die Tür zum Hochzeitsgemach, und mein Mann und ich waren allein.
    Er sagte: »Hallo.«
    Ich sagte: »Hallo.«
    »Hast du etwas gegessen?«
    »Ich darf noch zwei weitere Tage nichts essen.«

    »Da sind Erdnüsse und Datteln«, sagte er. »Ich verrate es niemandem, wenn du sie essen möchtest.«
    Ich schüttelte den Kopf, so dass die kleinen Kügelchen an meinem Kopfschmuck wackelten und die silbernen Anhänger hübsch klimperten. Zwischen meinen Troddeln hindurch sah ich, dass er den Blick gesenkt hatte. Er betrachtete meine Füße. Ich wurde rot. Ich hielt den Atem an, in der Hoffnung, die Troddeln würden Ruhe geben, damit die Farbe meiner Wangen nicht meine Gefühle verriet. Ich rührte mich nicht und er sich auch nicht. Ich war mir sicher, dass er mich noch musterte. Ich konnte nur warten.
    Schließlich sagte mein Mann: »Man hat mir erzählt, dass du hübsch bist. Stimmt das?«
    »Hilf mir mit dem Kopfschmuck und sieh selbst.«
    Das klang koketter, als ich beabsichtigt hatte, aber mein Mann lachte nur. Ein paar Augenblicke später setzte er den Kopfschmuck auf den Tisch. Er drehte sich um, um mich anzusehen. Wir standen vielleicht einen Meter auseinander. Er betrachtete mein Gesicht, und ich sah ihn ebenso unverwandt an. Alles, was Ehrenwerte Frau Wang und Schneerose über ihn gesagt hatten, stimmte. Er hatte weder Pockenmale noch andere Narben. Er war nicht so dunkelhäutig wie Baba oder Onkel, was mir verriet, dass er nicht viele Stunden auf den Feldern der Familie verbrachte. Er hatte hohe Wangenknochen und ein Kinn, das selbstsicher, aber nicht dreist wirkte. Ein widerspenstiger Haarschopf fiel ihm über die Stirn und verlieh ihm ein unbekümmertes Aussehen. In seinen Augen funkelte Humor.
    Er trat vor, nahm meine Hände und sagte: »Ich glaube, wir beide können zusammen glücklich werden.«
    Konnte ein siebzehnjähriges Yao-Mädchen bessere Worte erhoffen? Wie mein Ehemann sah ich eine goldene Zukunft vor uns liegen. In dieser Nacht befolgte er genau alle Traditionen, er nahm sogar meine Brautschuhe ab und zog mir meine roten
Schlafschuhe an. Ich war so an die sanfte Berührung von Schneerose gewöhnt, dass ich gar nicht richtig beschreiben kann, wie sich seine Hände an meinen Füßen anfühlten. Es kam mir nur viel intimer vor als das, was als Nächstes kam. Ich wusste nicht, was ich machte, aber er wusste es genauso wenig. Ich versuchte mir einfach vorzustellen, was Schneerose getan hätte, wenn sie

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