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Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Titel: Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Maeda
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Sie musste aber näher ran, wollte sie hören, was er sagte. Die einzige Möglichkeit war, einen Bogen zu schlagen und sich hinter einem der Verschläge zu verstecken. Das war riskant, aber für Hi keine große Herausforderung.
    Sie umrundete die LKWs von außen und drückte sich an der Wand der Verladehalle entlang, bis sie den Verschlag links von Tanosuke erreichte. Er war nun auf der anderen Seite. Die Engländerin duckte sich hinter den Verschlag. „Ich hasse diese Spionagespiele“, sagte eine ungeduldige weibliche Stimme. Hi kannte sie, konnte sie aber nicht sofort einordnen. So wie es klang, musste es die Person sein, auf die Tanosuke gewartet hatte.
    „Es gibt keine andere Möglichkeit“, antwortete er in kriecherischem Tonfall. „Im Büro sind ständig diese beiden schrecklichen Gaijin. Sie sind misstrauisch geworden. Ich fürchte, sie sind mir gefolgt.“
    Hi konnte sich schon denken, wer die beiden Gaijin waren, von denen Tanosuke sprach.
    „Deine Feigheit ist widerlich“, erwiderte die Frau kalt. „Teil mir lieber deine Ergebnisse mit.“
    Papier raschelte. Hi wagte nicht, den Kopf zu heben, aus Angst, entdeckt zu werden. Stattdessen schloss sie die Augen, um sich besser auf das Zuhören konzentrieren zu können.
    „Es gibt über die rothaarige Ausländerin, Isabelle Lérand, vertrauliche Informationen. Sie scheinen wichtig zu sein, denn sie sind unter mehrmaligem Verschluss.“
    „Und was für Informationen sind das?“
    „Das“, gab Tanosuke betreten zu, „habe ich noch nicht herausfinden können. Wie ich bereits sagte, sind die Sicherheitssysteme bei dieser Akte verschärft, aber ich ar ...“
    „Das hoffe ich“, unterbrach ihn die Frau. „Was noch?“
    „Isami-san hat seine Anteile an den Unternehmen der Yamanote-Gruppe verkauft. Außerdem transferiert er seit einem halben Jahr kontinuierlich eigenes Geld auf verschiedene Konten im Ausland.“
    „Was?“ Die Frau klang ehrlich erstaunt. „Was hat er vor? Will er den Yamanote-Clan verlassen oder übernehmen?“
    „Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Eine Übernahme des Clans wäre riskant, aber ein Verlassen ist trotz allem unwahrscheinlicher.“
    Hi lächelte schmal. Dummkopf. Natürlich hatten Toshis Aktivitäten, sein Vermögen betreffend, einen tieferen Zweck – er plante tatsächlich seinen Ausstieg. Als Vizepräsident des Yamanote-Clan kannte er die Regeln genau. Man verließ den Clan nicht lebend. Einige andere Clans hielten es anders, indem sie den ausgetretenen Mitgliedern strenge Regeln auferlegten, aber der Yamanote-Clan war nicht umsonst einer der größten Japans. Die Regeln waren streng, die Disziplin straff. Dachte ein Verräter wie Tanosuke wirklich, Toshi würde etwas Derartiges planen, ohne die nötigen Vorkehrungen getroffen zu haben? Was für ein Idiot!
    „Was hast du vor, Tetsu?“, fragte die Frau halblaut. Hi wurde hellhörig. Jetzt wusste sie, woher sie die Stimme kannte. Bei Tanosukes Partner handelte es sich um niemand anderen als Yusuri Akeba, die momentane Chefin des Mashimi-Clans. Anscheinend wollte sie Informationen aus dem internen Bereich der Yamanote, um sie auszuschalten.
    Der Kampf um die Vorherrschaft in Tokio tobte noch immer, und bei ihren wenigen Zusammentreffen hatte Hi Yusuri als gnadenlose Spielerin kennengelernt. Dass sie es jetzt auf den Oyabun abgesehen hatte, gefiel ihr überhaupt nicht.
    „Wenn du Näheres weißt, melde dich wieder. Ich will genau wissen, was es mit dieser Gaijin und Toshis Plänen auf sich hat“, befahl Yusuri.
    „Jawohl, Oyabun“, verabschiedete sich Tanosuke, und Hi sah ihn regelrecht vor sich, wie er vor diesem kalten Fisch von Frau buckelte. Die Koi auf ihrem Körper passten zu ihr – Yusuri war ebenso kalt und glatt wie diese Fische.
    Hi zog sich zurück. Das Treffen war beendet; jetzt hieß es, mit Tsuki zu beraten, wie sie weiter vorgehen würden.
    Das Klopfen an der Tür weckte Isabelle. Es war Tsuki, der halblaut ‚Frühstück‘ rief. Isabelle seufzte, drehte sich noch einmal zur Seite und starrte direkt auf einen schlafenden Mann. Nicht irgendeinen Mann, sondern Toshi, der nackt neben ihr lag. Zumindest nackt bis zur Taille – der Rest wurde durch die Decke ihren Blicken entzogen.
    „Das ist mein Bett!“, fuhr Isabelle im ersten Schreck auf und schlug sich im nächsten Augenblick gegen die Stirn. ‚Das ist mein Bett‘, war so ziemlich das Dümmste, was ihr hätte einfallen können. Toshi schlug die Augen auf und sah sie verwirrt an.

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