Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
wissen, bis es zu spät ist, Tetsu.“
Bevor er auch nur den Mund öffnen konnte, hatte Yusuri aufgelegt.
Toshi hatte sich in den folgenden Stunden den Kopf darüber zerbrochen, wie er zumindest den letzten Faktor, seine offensichtliche Liebe zu Isabelle, verschleiern konnte.
Er hatte es vor Yusuri nicht verstecken können und letztendlich auch vor sich selbst nicht mehr. Er liebte Isabelle. Das machte sie nur umso kostbarer für ihn, erst recht jetzt, da er sich das eingestanden hatte. Und genau aus diesem Grund musste er sie schützen. Es lief zwar seinem Plan zuwider, aber sie musste sich von ihm lösen.
Also hatte er sich für diesen Verrat entschieden, auch wenn alles in ihm dagegen anschrie. Er wollte Isabelle weder verletzen oder ihr wehtun, noch zulassen, dass jemand anderes es tat. Genau deshalb hatte er so handeln müssen. Wenn sie ihn jetzt hasste, war es das Beste für sie beide. Zumindest redete Toshi sich das ein.
Kapitel 16
Zurück in Tokio hatte Isabelle das Gefühl, ein eingesperrtes Tier zu sein. Sie bezog ihr altes Schlafzimmer, hielt sich aber kaum darin auf. Gleich am ersten Tag zog sie ziellos durch die breiten und engen Straßen der Stadt und konnte einfach keine Ruhe finden. Ihre Gedanken fanden immer wieder zurück zu Toshi und der Art und Weise, wie er sie zurückgewiesen hatte. Wie hatte sie auch glauben können, dass er irgendetwas für sie empfand? Dieser miese Bastard!
Isabelle lief an einigen Restaurants vorbei, die Tonkatsu servierten. In Schaukästen vor den Lokalen lagen Plastiknachbildungen des Fleischgerichts in verschiedenen Variationen aus. Isabelle sah das Essen kaum. Ihr war mehr danach, sich in irgendeiner Ecke zu verkriechen und darüber nachzudenken, wie sie ihren Schmerz abmildern konnte.
Sie fühlte sich betrogen. Wie unglaublich dumm von ihr, dass sie etwas anderes angenommen hatte.
Ihr Blick fiel auf eine große Videotafel am gegenüberliegenden Gebäude, auf der gerade die aktuelle Uhrzeit und das Datum angezeigt wurden. Noch eine Woche. Dann war alles vorbei. Sie musste nur noch sieben Tage durchhalten. Ihr alter Trotz regte sich in ihr. Sieben Tage. Und in denen würde sie Toshi zeigen, dass er sie in keiner Weise mehr besitzen konnte. Nie wieder.
Die Sonne ging bereits unter, als Isabelle ins Sakura View zurückkehrte. Gedankenverloren schob sie den Kartenschlüssel in den Schlitz des Fahrstuhls und fuhr hinauf. Als er mit einem leisen Klingeln hielt, stieg sie aus und wollte eigentlich in ihr Appartement gehen. Stattdessen fand sie sich auf der ‚exklusiven‘ Etage des Hotels wieder. Sie war zu spät ausgestiegen. Isabelle wollte wieder in den Fahrstuhl steigen, aber der fuhr in diesem Moment wieder nach unten. Sie seufzte und drückte auf den Rufknopf, um auf den nächsten Lift zu warten. In der Stille unterbrach aber nicht das Klingeln des Aufzugs ihr Warten, sondern ein Klatschen und ein lautes Stöhnen. Eine Frau. Eines der Zimmer musste wohl gerade besetzt sein.
Wieder erfolgte ein Klatschen und auch das Stöhnen wiederholte sich. Diesmal nicht nur eine Frau, sondern auch ein Mann, der im gleichen Rhythmus aufkeuchte. Isabelle spürte eine Gänsehaut auf ihren Armen und sah sich um. Sie war allein. Niemand sah sie. Sie klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und ging so leise wie möglich den Geräuschen nach. Sie kamen hinter einer angelehnten Tür hervor; Isabelle blieb davor stehen und lugte durch den Spalt. Bevor sie aber etwas erkennen konnte, packte jemand ihren Arm und schubste sie in einen Raum, direkt daneben. Isabelle wollte aufschreien, aber eine Hand drückte sich auf ihren Mund und verhinderte das. Sie sah nichts, dazu war es zu dunkel, aber der harte Körper an ihrem Rücken und der Duft waren ihr vertraut. Isabelle wurde ruhiger, und Toshi nahm seine Hand von ihrem Mund. „Was soll das?“, zischte sie, aus Angst, dass die Leute im Zimmer nebenan sie hören konnten.
„Du wolltest doch zuschauen“, sagte der Yakuza und schien sich gar nicht an ihrer Empörung zu stören. Er bewegte sich ohne Mühe im Dunkeln und drückte einen kleinen Schalter. Licht flammte an der Wand gegenüber von ihnen auf, aber es kam aus dem Raum nebenan. Isabelle konnte ohne Mühe dort hineinsehen. „Ein venezianischer Spiegel?“, fragte sie, ohne Toshi anzusehen.
„Äußerst altmodisch. Spiegel verwenden wir nicht mehr. Unsere Firma hat ein Material entwickelt, das es möglich macht, bei Bedarf auch massive Wände auf der Rückseite durchsichtig zu
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