Seidenfpade
Augen. Besser machen wir es gleich richtig, als hinterher einen zweiten Versuch wagen zu müssen.«
»Aber...«, begann Dani.
»Warte«, unterbrach Shane sie.
Dani starrte ihn an. Von einem Herzschlag auf den anderen war der Tiger lebendig geworden.
Flanders erwachte einen Augenblick später aus seiner Lethargie. Er richtete sich im Stuhl auf, stieß die Pistole in ein Halfter an seinem Gürtel und preßte sein Fernglas vor die Augen.
Shane beobachtete das Geschehen bereits durch seins.
Auf dem schuttbedeckten Vorplatz der Lagerhalle erschien ein khakifarbener Pickup mit einem Camperaufbau und hielt vor der Tür zum Lagerhaus des Himmel-und-Erde-Tong an. Der Fahrer stieg aus und klopfte.
»Chen Li Hwan!« Flanders pfiff durch die Zähne, als er den Chinesen erkannte. »Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt! Fünftausend Dollar sind auf seinen Skalp gesetzt. Hätte nie gedacht, daß der seinen löchrigen Bart und seinen knochigen Hintern noch mal diesseits der Grenze sehen lassen würde.«
Das Lagerhaustor glitt nach oben, und der Mann wurde eingelassen.
Shane überflog das Innere mit einem einzigen Fernglasschwenk. »Acht, vielleicht zehn Leute sind da drin. Kasatonin. Katja. Liu - dazu ein sitzender Buddha. Eine Tempelstatue. Der Kopf fehlt.«
»Dann wissen Sie ja, wie sie die Ware reingeschmuggelt haben«, meinte Flanders.
»Worauf warten wir noch?« fragte Dani mit wachsender Aufregung.
»Auf ’ne bessere Chance«, erwiderte Shane klar und deutlich.
Flanders zog ein Handy aus der großen Tasche zu seinen Füßen. »Je was von Polizeinotruf gehört?«
»Ja. Und nein! Rufen Sie nicht an.«
»Chen wird im ganzen Staat gesucht«, murrte Flanders. »Ein anonymer Tip an die Seattler Polizei würde genügen, und in fünf Minuten wäre ein bis an die Zähne bewaffnetes Sonderkommando hier.«
Shane sah zu, wie das Lagerhallentor hinter dem abgestellten Camper wieder nach unten glitt, bevor er antwortete.
»Stecken Sie das Telefon weg«, kommandierte er.
»Wollen Sie die gottverdammte Seide nun haben oder nicht?«
Flanders war am Ende seiner Geduld.
»Dieses Stück Seide ist so delikat und empfindlich wie ein Spinnennetz«, erklärte Shane. »Wir müssen warten, bis wir sicher sein können, es unbeschädigt in die Hände zu bekommen. Bis an die Zähne bewaffnete Sondereinheiten der Polizei sind nicht gerade für ihr Fingerspitzengefühl bekannt.«
Außerdem gab es noch ein anderes Problem - eins, das nur er, Cassandra und Gillespie sowie eine anonyme Weberin kannten. Wenn Shanes Plan funktionierte, gelangte nicht nur die Seide in Sicherheit, auch die Harmony wäre in alle Winde zerstreut.
Flanders holte tief Luft und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Sie sind der Boß«, räumte er ein. »Aber irgendwann müssen wir mal was riskieren, oder wir kommen nie nah genug ran an unser Ziel.«
»Wir müssen der Harmony zuvorkommen und einen ... einen Hinterhalt legen«, erklärte Shane, ohne das geschlossene Tor aus den Augen zu lassen. »Wer ist Chen Li Hwan?«
»Ein Heroinschmuggler«, zürnte Flanders. »Er wird vom Zoll gesucht. Seiner Familie gehört ein Nudelgeschäft im Chinesenviertel von Victoria. Ist wahrscheinlich der Lagerplatz für die Hälfte der Heroinlieferungen, die aus Asien hierherkommen; aber bis jetzt hat es noch keiner geschafft, die Sippe festzunageln.«
»Gehört er dem Himmel-und-Erde-Tong an?« fragte Shane.
»Sieht so aus«, mutmaßte Flanders. »Fremde werden bestimmt nicht in dieses Nest reingelassen - sonst wären wir schon längst selbst einmarschiert.«
Die beiden Männer beobachteten wieder eine Zeitlang das Gebäude.
Nichts geschah.
Auf einmal ertönte ein leises, rhythmisches Klopfen an der Seitentür des Lasters. Shane drehte sich um, als die Tür aufging und Gelmann hereinkletterte. Sein Schmunzeln ließ vermuten, daß er gute Neuigkeiten hatte.
Shane hob das Fernglas und nahm erneut das Lagerhaus ins Visier.
»Schieß los«, sagte er zu Gelmann.
»Die Hotelconcierge ist eine hübsche junge Latina, die in Guadalajara geboren wurde und teilweise dort aufwuchs, genau wie ich«, leitete Gelmann ein.
»Mir haben Sie erzählt, Sie wurden in Guanajuato geboren«, bemerkte Flanders.
Unschuldig zuckte Gelmann die Achseln.
»Die Concierge hatte heute vormittag jede Menge zu tun«, fuhr er unbeirrt fort. »Sie mußte eine Luxusjacht für ein paar stinkreiche Touristen chartern, die im Vierjahreszeiten residieren.«
»Und das soll wichtig für uns sein?«
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