Seidenmagd
»Ja, glaubt Ihr denn wirklich, dass Gott sich darum schert?«
»Ihr nicht?« Catharina riss die Augen auf.
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass er meine Speisen kontrolliert.« Frieder rutschte mit dem Stuhl zurück, ein unangenehmes Geräusch. Andere Gäste schauten sich zu ihnen um. Catharina war nicht aufgefallen, wie laut ihre Stimmen geworden waren. Beschämt senkte sie den Kopf.
»Ich hätte ... nichts sagen sollen«, murmelte sie, nachdem von der Leyen aufgestanden und den Raum verlassen hatte.
»Unfug. Warum glaubt Ihr das?«, fragte Gerald.
»Ich habe Monsieur verärgert.«
»Nein, das habt Ihr nicht. Wenn er ärgerlich ist, ist er ganzanders. Das werdet Ihr dann merken.« Gerald lachte leise. »Er mag kontroverse Gespräche.«
»Glaubt er an Gott?«
Gerald zuckte mit den Schultern. »Er geht in die Kirche. Oft. Über seinen Glauben haben wir uns nicht unterhalten.«
»Es steht mir auch nicht zu, solche Gespräche mit ihm zu führen.« Wie eine heiße Welle schwappte das Blut durch ihre Adern. Sie schämte sich.
»Nun, Monsieur ist neugierig. Neugierig auf andere Meinungen, Erfahrungen. Am liebsten würde er das Wissen der Welt in sich aufsaugen. Aber er hat sich um die Geschäfte der Familie zu kümmern, was ihm sehr viel weniger Freude bereitet. Deshalb versucht er, diese Dinge miteinander zu kombinieren.«
Kombinieren, dachte Catharina, als sie eine Stunde später wieder in der Kutsche saßen. Der Morgen hatte sonnig begonnen, doch nun zogen Wolken auf, und der Wind nahm zu. Frieder hatte einige freundliche Worte an sie gerichtet, dann ein Buch hervorgeholt. Sie tat es ihm gleich und las. Hin und wieder betrachtete sie die Landschaft, die an ihnen vorbeizog.
Gegen Mittag nieselte es. Sie machten nur kurz Rast, damit die Pferde saufen konnten. Gerald setzte sich nach der kurzen Unterbrechung das erste Mal zu ihnen und nicht auf den Kutschbock.
Was ist mit Heinrich? fragte sich Catharina, traute sich aber nicht, es laut auszusprechen. Mit den beiden schweigenden Männern in dem engen Gefährt fühlte sie sich zuerst unwohl, doch dann versenkte sie sich wieder in die Aufzeichnungen von Hildegard von Bingen.
Auch ihre Mutter hatte im Hof einen kleinen Kräutergarten. Dort wuchsen die üblichen Gewürze und Kräuter, die man brauchte, um Speisen aromatischer zu machen. Es verblüffte Catharina, dass die meisten Kräuter auch Heilkräfte hatten. Am liebsten hätte sie sich Aufzeichnungen gemacht, aber weder besaß sie eine Feder noch Tinte. Das, so nahm sie sich vor, mache ich, sobald wir in Potsdam sind.
Am Abend erreichten sie einen kleinen Gasthof. Überall am Postweg gab es Rasthäuser, in denen die Postkutscher die Pferde versorgten oder auch tauschten, wo es Speisen und ein Quartier gab. Der Postweg gehörte zu den wichtigsten Wegen im Land, und dennoch waren manche Wege kaum oder nur schlecht zu befahren.
Das Rasthaus unterschied sich von dem der vorangegangenen Nacht. Es war klein und ein wenig schäbig.
»Wir müssen hier rasten.« Heinrich klang bedrückt. »Die Pferde schaffen es nicht weiter.«
Anders als bei den Postkutschen waren die Tiere aus dem Besitz der Familie von der Leyen. Sie würden sie nicht austauschen, sondern planten Ruhezeiten ein.
»Der Regen hat den Weg aufgeweicht, das macht es schwerer«, entschuldigte sich der Kutscher. »Ich weiß, dies ist eine Absteige, aber wir haben keine Wahl.«
Der Nieselregen war zu einem heftigen Schauer geworden. Catharina dauerte der Mann, der oben, gehüllt in einen Umhang aus Leder, auf dem Kutschbock sitzen musste. Sicherlich war er durchfroren und müde. Trotzdem kümmerte sich Heinrich zuerst um das Wohl der Tiere, spannte sie aus und brachte sie in den Stall.
»Kann ich helfen?«, fragte Catharina ihn.
»Kannst du mit Pferden umgehen?« Er reichte ihr den Strick des zweiten Pferdes und ging voran.
Im Stall roch es muffig. Heinrich seufzte.
»Du bist nicht wirklich glücklich über das Quartier?«, fragte Catharina.
»Nein, noch fünf Meilen weiter, und wir hätten eine bessere Gaststube erreicht. Aber das hätten die Pferde nicht mehr geschafft.« Er wies nach draußen. Heftig prasselte nun Regen nieder. »Wir werden das Beste daraus machen.«
Auch in der Gaststube roch es muffig nach saurer Milch und altem Kohl. Der Schankwirt hatte seinem Bier schon ordentlich zugesprochen, eine Wirtin schien es nicht zu geben.
»Ihr braucht Quartier?«, fragte er und verschliff die Silben lallend. »Meine Tochter wird sich
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