Seidenmagd
die te Kamps konnten höchstens der gehobenen bürgerlichen Schicht zugeordnet werden, während die Kommerzienräte der von der Leyen schon fast einen adeligen Status hatten. Es war nicht nur das Geld, was sie trennte, es war die gesamte Lebensweise.
Frieder führte sie in den Salon, schenkte ihr Wein ein. »Habt Ihr Hunger?«, fragte er. »Das Essen wird gleich aufgetragen.«
»Hunger?« Catharina sah ihn ungläubig an. »Nein.«
»Schade. Es gibt Wild. Habt ihr schon einmal Reh gegessen?«
Catharina schüttelte den Kopf. »Hochwild ist dem Klerus und dem Adel vorbehalten.«
»Nun, es gibt Ausnahmen. Mein Cousin hat eine Jagd gekauft. Reh ist köstlich, glaubt mir. Ein Leckerbissen.«
Catharina nickte, sie glaubte ihm. Aber Appetit verspürte sie nicht. Ich komme in den Genuss von vielen Dingen, von denen ich bisher kaum gehört habe, dachte sie. Uns trennen Welten. Auch wenn Frieder im Moment die Grenzen verschiebt, gibt es nichts, was unsere Leben verbindet, noch in Zukunft verbinden könnte. Der Gedanke bekümmerte sie.
»Ich habe aber keinen Hunger«, murmelte sie.
»Der Hunger kommt mit dem Essen.« Seine Augen blitzten. »Jetzt aber zu der wichtigen Frage – wie hat es Euch gefallen?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Ich muss darüber noch nachdenken.«
»Nachdenken? Nun kommt schon – äußert Eure Meinung, frisch und unverblümt. Mich interessiert Eurer erster Eindruck.«
»Diese Sänger – die Frauenrollen ...«
»Ja? Waren sie nicht göttlich?«
»Göttlich?« Catharina schnaubte. »Wie könnte Ihr dieses Wort in diesem Zusammenhang aussprechen? Das ist beleidigend, blasphemisch.«
»Bitte?« Frieder sah sie erstaunt an.
»Es sind Kastraten. Diese Sänger sind Bestien, Monstren. Sie sind weder göttlich noch gottgewollt. Sie wurden als Knaben geboren und haben ihre Männlichkeit dem Prunk, Protz und der eitlen Unterhaltung geopfert. So etwas kann Gott nicht gutheißen oder gar wollen.« Catharinas Stimme war immer lauter geworden, sie ereiferte sich.
»Ich bitte Euch, Mademoiselle, betrachtet das doch nicht im engen Reglement der Gemeinde. Öffnet Euren wissbegierigen Geist und seht all das Schöne und Gute in dieser Welt. Nicht alles muss immer schlicht sein. Schaut Euch an, schaut dieses wunderbare Kleid an und was es aus Euch macht!« Er zeigte auf sie und lächelte.
»Das Kleid?« Catharina sah an sich herunter, hob den Rock ein Stück an. »Was macht das Kleid aus mir? Einen anderen Menschen? Nein, das tut es nicht. Es ist ein eitles Stück Stoff. Möglicherweise macht es mich in Euren Augen ein wenig ansehnlicher, aber mich selbst verändert es nicht. Es ist nur ein Fetzen Stoff, hübsch arrangiert und mit Spitze verziert.«
»Das ist nicht wahr, Mademoiselle, und Ihr wisst das genau wie ich. Dieses Kleid macht Euch zu einer Person mit gesellschaftlichem Rang. Es verändert Eure Stellung und darum auch Euch.« Frieder legte den Kopf schief. »Das werdet Ihr doch begreifen, oder?«, fragte er leise.
Catharina holte tief Luft, wollte ihm eine Erwiderung an den Kopf werfen, doch dann biss sie sich auf die Lippe. Erhatte recht, auf eine Art und Weise. Sie drehte sich um und verließ den Salon, ohne ihm eine gute Nacht gewünscht zu haben.
Kapitel 26
Kleidung macht viel aus, dachte Catharina, als sie das Seidenkleid über den Stuhl legte. Rasch zog sie sich ihr Nachtgewand über, nahm die Nadeln aus den Haaren. Sofia hatte ihr nur einen losen Zopf geflochten, die Strähnen lösten sich daraus. Schnell ordnete sie ihr Haar, schlüpfte unter die Decke und löschte das Licht. Immer noch hörte sie den Klang der Streicher, das Trommeln der Pauken und die Bläser. Die Musik hatte sie berührt, auch die Stimmen der Sänger.
Das Singspiel an sich empfand sie als eitlen Tand, nutzlose Unterhaltung. Warum dachte man sich so etwas aus, und wieso besuchten die Leute diese Vorstellungen? Das Opernhaus war voll gewesen. Noch nie hatte Catharina solch prächtige Kleidung gesehen, die Haut der Frauen weiß gepudert, die Frisuren zu filigranen Gebilden aufgetürmt. Es roch – nein, es hatte nach Parfum gestunken. Sie stellten sich genauso zur Schau wie die Sänger auf der Bühne.
Die Männer waren zwar weniger auffallend gekleidet gewesen, doch den einen oder anderen Pfau hatte sie auch gesehen.
Würde ich noch mal in eine Opera buffa gehen? fragte sie sich. Nein.
Sie war indes froh, hingegangen zu sein. Nun wusste sie, was ein Singspiel war, dass sie Musik zwar mochte, das Drumherum aber
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