Seidenmagd
gefällt es Euch?«, wollte Frieder wissen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Catharina ehrlich. »Es ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Ich habe so etwas noch nie gesehen, nie gehört.«
»Das dachte ich mir. Schön.«
»Warum ist das schön?« Catharina runzelte die Stirn.
»Weil ich wissen wollte, wie so eine wunderbare Musik auf jemanden wirkt, der nie zuvor Kontakt dazu hatte.«
Catharina schluckte. »Ich möchte kein Versuchsobjekt sein, Monsieur. Ich schätze alles, was Ihr für mich tut, aber offenbar sind Eure Interessen seltsamer Natur.«
»Mademoiselle! Was denkt Ihr von mir.« Dann schluckte er, wandte den Blick ab. »So habe ich das nicht gemeint.«
»Sondern?« Catharina richtete sich auf. »Ihr seid von meinem Glauben, oder etwa nicht? Ihr geht in meine Kirche. Was denkt Ihr, wie die Gemeindeältesten diese Oper finden würden?«
»Es ist eine Opera buffa – eine lustige Oper. Etwas anderes wird hier gerade nicht gespielt.« Frieder klang, als würde er sich entschuldigen wollen.
»Das Erstbeste?« Catharina atmete auf. Der Inhalt des Singspiels hatte also keine persönliche Bedeutung.
»Ja, ich wollte, dass Ihr dieses Stück seht und hört. Ichfinde es grandios. Der Sänger der Cecchina ist genial, er wird überall bejubelt.«
»Der Sänger?« Catharina stockte der Atem. »Es ist ein ... Mann? Aber sie trägt Frauenkleider, hat eine hohe Stimme ..., die Haare ... alles ...«
Frieder lachte laut auf. »Thommaso Borghesi ist ein Kastrat.«
»Ein ... was?« Catharina sah ihn entsetzt an. »Bitte sagt, dass es nicht das ist, was ich denke.«
»Was denkt Ihr denn?« Wieder setzte er sein amüsiertes Lächeln auf, doch es erschien ihr anders als noch vor ein paar Tagen, auch Besorgnis vermeinte sie in seinem Blick zu erkennen.
»Ochsen.« Mehr vermochte sie nicht zu sagen.
Frieder lachte tonlos. »Es gibt Knaben, die sind mit einer wundervollen Stimme gesegnet, einem klaren, reinen, hellen Ton. Es sind wahre Künstler. Doch dann werden sie älter, und naturgemäß werden ihre Stimmen tiefer, der Klang verliert seine Intensität. Das Alter nimmt ihnen ihre Gabe.«
Catharina vermied es, ihn anzusehen.
»Diese Knaben haben ein Geschenk, und manche möchten dieses Geschenk behalten«, fuhr Frieder leise fort. »Deshalb lassen sie sich zu Kastraten ... machen.« Er räusperte sich. »Und haben danach weiterhin ihre wundervolle Stimme.«
»Knaben. Mit wundervollen Stimmen.« Sie blickte in ihr leeres Glas, Frieder schenkte ihr schnell nach. Hastig trank sie es aus, ließ sich noch mal nachschenken. Bevor ihr eine Antwort eingefallen war, kehrten die anderen Mitglieder der Familie von der Leyen in die Loge zurück, die während der Pause flanieren gegangen waren. Und dann wurde das Licht erneut gelöscht, die Musik setzte wieder ein.
Dem zweiten Teil konnte Catharina nicht mehr so unbeschwert folgen wie dem ersten. Das Publikum lachte über Paoluccia, litt mit Cecchina, verfluchte lauthals Armidoro, flehte für die Liebe des Marquis und schimpfte auf seine weinerliche Schwester. Die erlösende Nachricht von Tagliaferro, einem deutschen Soldaten, wurde mit Applaus und Fußgetrappel honoriert.
Wie in Trance verließ Catharina das Theater.
So war ein Singspiel also. Die Frauenfiguren hatte sie nicht mehr anschauen mögen, jetzt, wo sie wusste, dass es eigentlich Männer waren. Männer, die sich ihre Männlichkeit hatten nehmen lassen, damit sie weiterhin ein Publikum unterhalten konnten.
Die Geschichte an sich, so befand Catharina, war absurd. Ein Marquis verliebt sich in seine Magd. Die Schwester des Marquis, verlobt mit einem Adeligen, erfährt von der Liebschaft, genau wie ihr Verlobter. Diese Ehe ist nun in Gefahr – eine Verbindung in der Familie, die unter dem gesellschaftlichen Niveau ist, ist nicht akzeptabel. Glücklicherweise klärt der deutsche Soldat das Problem – die Magd ist keine Magd, sie hat adelige Eltern, und damit steht einer Ehe nichts im Weg.
Unfug, dachte Catharina, als sie sich die Handlung noch einmal durch den Kopf gehen ließ, die ganze Geschichte mit Liebe und Leidenschaft ist abwegig. Ehen werden aus gutem Grund von den Familien ausgehandelt, oder man verliebt sich und heiratet. Aber wie sollte man sich außerhalb seiner Gesellschaftsschicht verlieben? Sie warf Frieder einen schnellen Blick zu. Er saß mit geschlossenen Augen in der Droschke. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen.
Sie beide waren aus Krefeld, gehörten der mennonitischenGemeinde an – doch
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