Seidenmagd
ihn so betrachtete. Sie kannte ihn durch die langen Tage der Reise und die Gespräche am späten Abend weitaus besser als zuvor. Vor ein paar Monaten hatte sie für ihn geschwärmt, eine Jungmädchen-Schwärmerei, der sie keine weitere Bedeutung zugemessen hatte. Doch ihre Gefühle für ihn hatten sich verändert, stellte sie fest. Sie sah ihn einerseits kritischer, andererseits hatte er mit seinem Verhalten deutliche Sympathien bei ihr entwickelt. Immer noch nicht ganz klar war ihr ihre Position. Was war sie für ihn? Was bedeutetesie ihm, und warum hatte er sie gerade in diese Oper geführt? War es Absicht oder Zufall? Vielleicht, dachte sie, wurde eben nur dieses Stück aufgeführt.
Plötzlich bemerkte sie, dass Frieder sie anschaute. Im Dämmerlicht konnte sie seine Gesichtszüge nicht deutlich erkennen und senkte verschämt den Kopf.
Die Musik setzte ein. Catharina schaute zum Graben, suchte die Sänger, aber dort waren keine. Die Streicher, Bläser und Trommler spielten eine flotte Melodie. So etwas hatte Catharina noch nie gehört. Es klang verstörend, eine seltsame Musik. War die gesungene Messe in der Kirche doch immer noch irgendwie eine Art der Kirchenmusik und erinnerte, wenn auch nur entfernt, an die gesungenen Psalmen, so waren diese Klänge ganz anders. Flott und eingängig kam die Musik daher. Dies, so war Catharina klar, war keineswegs gottgefällig, sondern eitle Unterhaltung. Plötzlich hörte das Stück auf, die Streicher setzten ein. Hüpfend, beschwingend spielten sie ihre Melodie. Immer noch konnte Catharina keinen Gesang vernehmen. Sie beugte sich vor, auch Sänger waren nirgendwo zu entdecken. Hatte sie etwas falsch verstanden? Sie wusste es nicht. Dann änderte sich die Melodie wieder, Bläser kamen hinzu, das Tempo stieg – es klang wie eine Art Einleitung, eine Begrüßung. Die Musik endete, und das Publikum klatschte. Fragend sah sie Frieder an, er lehnte sich zu ihr. »Das war die Ouvertüre!«
»Oh«, machte Catharina und fragte sich, was das wohl bedeuten mochte. Dann setzten die Streicher wieder ein, und nun öffnete sich der Vorhang. Dahinter war eine Art Raum verborgen gewesen. Erstaunt blickte Catharina auf die bemalten Wände, die, so glaubte sie, einen Garten anzeigten. Große Kübel mit Palmen standen dort, und eine Frau in prächtigenKleidern goss die Pflanzen. Dann trat sie an den Rand des Grabens, und Catharina befürchtete für einen Augenblick, dass sie dort hineinfallen würde. Doch die Frau hielt inne, schaute ins Publikum und begann zu singen. Ihre Stimme war hoch und rein. Catharina beugte sich vor. Etwas war komisch an der hochgewachsenen und kräftigen Frau. Doch sie konnte sich nicht erklären, was es war. Der Gesang war auf Italienisch, aber nach dem, was Frieder ihr zu lesen gegeben hatte, war dies Cecchina, die Magd, die für den Garten zuständig war. Die Mimik und Gestik der Sängerin wirkten übertrieben, aber Catharina wurde klar, auch ohne die Worte zu verstehen, dass sie das Leben lobte und für schön befand.
Dann änderte sich die Musik wieder. Nur ein Cembalo begleitete den Sprechgesang der Sängerin. Ein Mann trat auf, auch er trug nur vor, beide gingen durch den Raum, zeigten hierhin und dorthin, hüpften umeinander, hin und wieder lachte das Publikum auf. Catharina war immer noch verblüfft, aber der Gesang nahm sie mehr und mehr gefangen. Der eine Mann verschwand im Hintergrund, Catharina konnte nicht so recht entdecken, wie und wohin, ein anderer trat auf. Seine Stimme war deutlich tiefer. Dies musste der Marquis sein, ging ihr auf.
Sie versuchte der Handlung zu folgen, so gut sie es vermochte. Das Lachen des Publikums, als die zweite Magd die Bühne betrat, befremdete sie. Die Musik berührte ihr Herz, beschwingte ihre Seele – die Wehmut und die Freude, ausgedrückt durch Gesang und Instrumente, konnte sie nachvollziehen, mehr sogar, sie litt und freute sich mit. Ihr Herz pochte, ihre Wangen waren gerötet, voller Spannung saß sie in ihrem Sessel und verfolgte die Handlung, auch wenn sie die Sprache nicht verstand.
Nach dem ersten Akt schloss sich der Vorhang, das Publikum applaudierte frenetisch. Catharina sah zu Frieder, der ihren Arm berührte. Es kam ihr vor, als erwache sie aus einem Traum.
»Pause«, sagte er lächelnd und zeigte auf ihr Glas, das sie die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. Nach dem ersten Schluck hatte sie es vergessen, nun trank sie es hastig aus. Es schmeckte schal und schäumte auch nicht mehr.
»Wie
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