Seidenmagd
nicht. Ein Oratorium würde sie sich jedoch wiederanhören. Auch da hatte es hohe Stimmen gegeben, ob das auch Männer gewesen waren? Ach nein, nicht Männer, sondern Kastraten. Bei dem Gedanken daran errötete Catharina heftig. Darüber würde sie mit niemandem jemals reden können, höchstens mit Rike. Plötzlich überfiel sie heftiges Heimweh nach Krefeld und ihrer Familie. Sie vermisste die Nächte zusammen mit ihrer Schwester so sehr, dass es wehtat.
Die aufregenden und anstrengenden neuen Erfahrungen hatten bisher gereicht, um kein Heimweh aufkommen zu lassen, doch nun fühlte sie sich ganz und gar alleine. Das erste Mal auf dieser Reise weinte sie sich in den Schlaf.
Am nächsten Morgen schien die Sonne in ihr Zimmer. Das Seidenkleid lag über dem Sessel und schimmerte im Licht.
Catharina flocht sich einen festen Zopf, steckte ihn streng im Nacken zusammen. Sie zog das schlichteste Kleid an, das sie besaß, und ging in den Salon, aus dem schon das Klappern des Geschirrs zu hören war.
Vorsichtig öffnete sie die Tür.
»Bonjour, Mademoiselle.« Frieder strahlte sie an. »Seid Ihr mir noch böse?«
»Böse? Euch?« Verwirrt setzte sich Catharina.
»Weil ich Euch zu dieser gottlosen Vorstellung mitgenommen habe.«
»Es war eine durchaus interessante Erfahrung.« Catharina nahm sich Brot und kalte Entenbrust.
»Eine interessante Erfahrung? So, so.« Frieder zog die Augenbraue hoch. »Wollt Ihr mir Eure Eindrücke genauer erläutern?«
Catharina strich sich Butter auf das Brot, schüttete Dünnbier in ihren Becher.
»Es war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich muss gestehen, dass ich instrumentale Musik mag, das habe ich jetzt festgestellt.« Sie biss herzhaft in das Brot.
»Ist das so? Und der Gesang?«
»Ja, auch den mag ich, wobei mir das Oratorium besser gefallen hat.« Sie sah ihn an, senkte dann den Kopf. »Die Sängerinnen in der Kirche, waren das auch ...«
Frieder runzelte die Stirn, dann begriff er und lachte. »Nein, das waren keine Kastraten.«
»Gut.«
»Euch verstört dieser Gedanke wirklich, nicht wahr?«
»Es ist gegen Gottes Willen«, sagte Catharina entschieden.
»Woher wollt Ihr das wissen?« Frieder stand auf, ging zu der kleinen Anrichte an der Seite und goss sich Rotwein in seinen Pokal.
»Es ist widernatürlich.«
»Wer entscheidet das? Ihr? Die Gemeindeältesten? Die Priester?«
Catharina schnaubte. »Wenn Gott gewollt hätte, dass sie Sängerinnen werden, hätte er sie als Mädchen zur Welt kommen lassen.«
»Die Stimmen, die die Kastraten singen, nennt man Sopran und Mezzosopran. Es sind hohe, aber auch klare und reine Töne. Früher haben diese Stimmen immer nur Knaben singen können. Mädchen oder Frauen, obschon mit hohen Stimmen gesegnet, schienen ob ihrer schwachen Konstitution und ihres zarten Wesens nicht geeignet, schwierige Stücke zu singen. Doch auch Knaben sind nur begrenzt belastbar.« Frieder setzte sich wieder ihr gegenüber. »Und es ist nicht einfach, diese Stücke auswendig zu lernen und perfekt zu beherrschen.«
Er nahm sich auch ein Stück Entenbrust, aß es voller Genuss. »Die Konstitution ist ein Grund, weshalb es Kastraten gibt, aber auch ihre Stimmen – sie klingen so viel klarer und reiner als die einer Frau.«
Catharina verzog das Gesicht. »Das konnte ich nicht so erkennen. Mir haben die Frauenstimmen des Oratoriums durchaus gefallen.«
»Inzwischen werden Sängerinnen mehr und mehr geschult, und vielleicht wird es irgendwann gar keine Kastraten mehr geben, was ich sehr schade fände.« Frieder nippte an seinem Weinglas und lächelte.
Catharina räusperte sich, nahm sich von der geräucherten Forelle. Noch einmal würde sie nicht indigniert den Raum verlassen, ohne die Unterhaltung beendet zu haben.
»Ihr findet also vertretbar, dass man kleine Jungen entstellt und ihnen ihr Leben als Mann raubt?«
»Entstellt? Fandet Ihr die Sänger gestern entstellt?«
Catharina hätte sich fast verschluckt. »Nun, ich habe sie ja nur mit Kleidung gesehen und kann es nicht wirklich beurteilen.«
Nun verschluckte sich Frieder und hustete. Catharina stand auf, ging zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken.
Oh, sagte sie sich, ich habe anscheinend einen Punkt gemacht. Es kostete sie Mühe, ein Lächeln zu verkneifen.
»So habe ich das nicht gemeint«, seufzte Frieder, als er wieder Luft bekam. »Ich weiß auch nicht, ob man ihnen das Leben geraubt hat. Ich habe Thommaso schon einmal getroffen, er machte einen durchaus zufriedenen Eindruck mit
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