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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sichtbar. Die Lippen waren weich und großzügig, die Augen mandelförmig, tiefschwarz und klar. Sie wirkten geistesabwesend, konnten jedoch, wie ich bald erfahren sollte, von einem Atemzug zum anderen mit intensiver Schärfe funkeln. Das Haar war völlig weiß, silbern glänzend, so daß der blasse Schädel an manchen Stellen hindurchschimmerte. Trotz seines hohen Alters besaß dieser Mann eine melancholische Anmut, die auf eine nach innen gekehrte Ruhe hinwies, und gleichzeitig die stählerne Härte eines Athleten. Dieser Zwiespalt übte einen ungewöhnlichen Reiz aus. Seine Ausstrahlung, ätherisch und zugleich erdverbunden, machte ihn zugänglich, und ich fühlte mich vom ersten Augenblick an, da ich ihn sah, merkwürdig bewegt.
    Seine Verbeugung war kurz und straff, fast nur ein freundliches Nicken. Kunio verneigte sich gleichzeitig mit ihm, doch viel tiefer. Ich tat es ihm nach, verharrte mit gesenktem Kopf.
    Während Kunio meinen Namen nannte, sagte ich, daß ich aus der Schweiz käme und von Mori-Sensei in Bugaku unterrichtet würde. Kunihiko betrachtete mich scharf. Schließlich nickte er, mit einem Grunzton, der wohlwollend klang. Eine Handbewegung, wir sollten uns setzen. Er selbst nahm hochaufgerichtet am Tischende Platz. Die Bewegung war nicht eine Spur unbeholfen, sondern graziös und elegant. Den Rücken hielt er kerzengerade, fast durchgedrückt. Er ließ die Augen nicht von mir ab.
    »Wo haben Sie so gut japanisch gelernt?«
    »Das bringe ich mir selbst bei.«
    »A honto – wahrhaftig?« knurrte Kunihiko.
    Im Gegensatz zu seinen jugendlichen Bewegungen klang seine Stimme heiser und alt. Sein Atem ging pfeifend.
    »Mir fehlen noch viele Worte«, sagte ich. »Aber ich lerne täglich neue dazu. Das ist nicht sehr anstrengend.«
    »Sie müssen ein ausgezeichnetes Gedächtnis haben.«
    »Nur für das, was mich interessiert«, erwiderte ich.
    »Und Japanisch, das interessiert Sie?«
    »Ich finde immer mehr Spaß daran.«
    Er musterte mich intensiv. Seine Augen schienen fast violett, wie die Farbe der Klematis. Die Mundwinkel hatten jetzt einen schalkhaften Zug.
    »Als mein Sohn aus Amerika kam, da hatte er sich eine entsetzliche Aussprache angewöhnt. Ihre Aussprache ist besser.«
    »Wenn man eine Sprache lernt«, sagte ich, »ist es ebenso leicht, sich eine gute Aussprache beizubringen wie eine schlechte.«
    Eine Pause trat ein; der alte Mann schien über die Antwort nachzudenken. Schließlich nickte er.
    »Vielleicht hätte mein Sohn sein Japanisch nicht verlernen sollen.«
    »Vielleicht.«
    »Wer eine gute Aussprache hat, ist immer im Vorteil.«
    »Das glaube ich auch.«
    Er sah mich unverwandt an, mit funkelndem Blick, und wechselte plötzlich das Thema. Ob Bugaku in Europa bekannt geworden sei, wollte er wissen. Die Frage klang einfach, aber ich hatte das Gefühl, daß er sie mit einer gewissen Absicht stellte. Ich nahm mir Zeit, über die Antwort nachzudenken.
    »Heute geht man in der Kunst viele Wege. Im Zuschauerraum befinden sich ja ganz unterschiedliche Menschen. Den Gleichklang oder die Aufspaltung unter den Zuschauern merkt man sofort.«
    Er kniff aufmerksam die Augen zu.
    »Woran?«
    Ich lächelte.
    »An den Atemzügen. Das geschieht unabhängig davon, welche Tanzform gezeigt wird. Gehört sie zur Urerfahrung der Menschheit, wirkt sie niemals fremd.«
    Ein Ausdruck von Genugtuung erschien auf Kunihikos Gesicht.
    »Genau das wollte ich von Ihnen hören!«
    Während wir sprachen, erschien Rie mit einem Tablett. Tee dampfte in Bechern aus purpurner Keramik. Dazu gab es ein geleeartiges rosa Gebäck, das in ein Kirschbaumblatt eingewik-kelt war.
    »Sakura-mochi«, sagte Kunio. »Eine Süßigkeit mit dem Duft von Kirschblättern. Vater hat sie extra für dich bestellt.«
    Ich bedankte mich, gerührt von seiner Höflichkeit, Kunihiko sah zu, wie ich die Leckerei aus dem Blatt wickelte und behutsam kostete. Das delikate Gebäck unterstrich das kräftige Aroma des Tees, der nach frischen Gräsern schmeckte. Ich lächelte den alten Mann an, der zufrieden nickte.
    »Sie mögen Sakura-mochi? Das freut mich aber!«
    Mir fiel auf, daß Ries Blick nicht von dem Gesicht des Vaters wich; es war, als ob sie sein Mienenspiel mit angstvoller Besorgnis verfolgte. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß er krank war. Das Feuer in seinen Augen sprühte so jugendlich.
    »Als Kunio noch klein war, da mochte er Sakura-mochi ebensogern wie ich. Jetzt macht er sich nichts mehr daraus.
    Hot-Dogs sind ihm lieber.« Er

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