Seidentanz
plumpe Finger! «
Ich wollte ihr sagen, daß ihre zierlichen Finger alles andere als plump waren, doch meine Gedanken waren bereits von etwas Neuem in Anspruch genommen. Über einer Schiebetür war eine Naginata befestigt, ein langer, leichter Speer mit ge-bogenem Blatt, dessen Gebrauch früher Männern und Frauen teils zur Übung, teils zur Verteidigung gelehrt wurde. Schon kniete Rie nieder, mit unbefangener, gelenkiger Anmut, und zog die Schiebetür auf. Über die traditionelle Raumgestaltung hatte ich viel gelesen, kannte sie jedoch lediglich aus Tempeln und Museen. Nun betrat ich das schönste japanische Zimmer, das ich je gesehen hatte.
Der Raum war groß, mit brokatgeränderten Matten ausgelegt. Die tragenden Holzpfeiler, die Täfelung über den Türen bestanden aus goldfarbenem Holz. Ich starrte sie an; die Maserung des Holzes hatte mich stets fasziniert. Jeder Knoten, jede Rille trug den Stempel eines Zeitalters. Wortlos strich ich mit den Fingern über die samtene Fläche.
»Das Holz wird nie gebohnert oder geölt.« Kunio, dem meine Begeisterung nicht entgangen war, trat zu mir. »Wir waschen es nur mit dampfend heißen Tüchern ab. Das genügt, um dem Holz den Glanz zu erhalten.«
Die Wände waren mit honigfarbener Rauhfasertapete bezogen. Durch die offenen Fusuma – die Schiebetüren aus Reispapier – fiel der Blick auf eine Waldlandschaft. Sie zog einen Kreis um das Haus, in allen Schattierungen von Grün, schuf eine sonderbare, vibrierende Stimmung, als ob der Wald in die Räume drang, mit seinem Aroma und seiner Kraft. Er strahlte eine leidenschaftliche, intensive Energie aus; das ganze Haus war davon erfüllt und belebt.
Stumm ließ ich meine Blicke umherschweifen. Ein dunkelrot lackierter, niedriger Tisch, wie Atlasseide glänzend, stand auf einer etwas erhöhten Estrade. Einige schön gemusterte Baumwollkissen lagen dort. Außer einem kleinen Altarschrein und einer Schrankkommode aus Mahagoniholz, mit Eisenbeschlä-
gen und Wappen versehen, schien das Zimmer fast leer. Erst als ich mich umwandte, erblickte ich, in die Wand eingelassen, die Tokonoma – die geweihte Nische. Zwischen den spiegelblank polierten Pfeilern hing ein Rollbild, das eine Buddhafigur darstellte.
»Das ist eine ›Daumen-Malerei‹«, erklärte mir Kunio. »Der Künstler malt, indem er seinen Daumen mit Tusche befeuchtet.
Heutzutage ist die Technik ziemlich aus der Mode gekommen.«
Vor dem Rollbild stand eine flache Bronzeschale mit Wasser, in der eine Seerose schwamm. Auf einem schwarzen Lackständer ruhten zwei Schwerter, ein kurzes und ein langes. Sie steckten in wundervoll lackierten Scheiden, mit einem Muster aus karminroten Ahornblättern und mit Seidenschnüren und Trod-deln versehen. Kunio fing meinen Blick auf.
»Das große Schwert ist ein Katana, das Kleine ein Wakizashi. Beide hat mein Großvater hergestellt. Mein Vater würde seine eigenen Werke niemals in den Alkoven stellen. Aus Bescheidenheit«, fügte er hinzu.
Inzwischen hatte Rie nach einer kurzen »Entschuldigen-Sie-mich-Verbeugung« das Zimmer verlassen.
»Setz dich«, sagte Kunio. »Mein Vater kommt gleich.«
»Wie schön es hier ist!« sagte ich. »So still!«
»Du findest das schön? Sonderbar, denn für gewöhnlich findet das keiner.«
»An einem Tag gewöhnt man sich vielleicht nicht daran.«
Er nickte.
»Früher mochte ich die Stille nicht. Inzwischen habe ich genug Lärm erfahren.«
»Es gibt vielerlei Arten von Stille«, sagte ich.
Er lächelte zurück: Wir hatten bereits unsere Schlüsselworte.
»Gewiß, aber die, von der ich spreche, muß man sich erst verdienen.«
Wieder glitt die Schiebetür auf; ein Mann erschien auf der Schwelle. Wir erhoben uns. Das erste, was mir auffiel, war seine weiße Kleidung, die Arbeitstracht der Schmiede: eine kurze Kimonojacke und eine Art Pluderhose, an den Knöcheln schmal geschnitten. »Mein Vater geht nie anders gekleidet«, hatte Kunio gesagt. »Er fährt sogar in dieser Aufmachung nach Tokio. Seine Sachen trägt er nach altjapanischer Sitte in einem Furoshiki, einem viereckigen Stück Stoff, das kostbar, aber niemals aufdringlich gemustert sein darf. «
Kunihiko Harada war ungefähr Ende siebzig, obwohl er jünger aussah, hochgewachsen, aber schmal, beinahe knochen-dünn. Sein Gesicht war ebenmäßig, sein Teint elfenbeinfarben.
Das Alter hatte einige sandbraune Flecken in die durchscheinende Haut gestempelt. Sie waren auch auf den bleichen Unter-armen, den langen, gelenkigen Händen
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