Seidentanz
schürzte sarkastisch die Lippen.
Kunio zuckte mit keiner Wimper. Er mußte die Scherze seines Vaters gewohnt sein.
»Wie alt sind Sie?« fragte mich der alte Herr unverblümt.
»Ein Jahr jünger als Kunio.«
Kunihiko suchte sich eine bequemere Stellung.
»Frauen sind älter als Männer. Auch wenn sie jünger sind.
Es ist nichts Erstrebenswertes dabei, ein Mann zu sein, ne?«
Ich lächelte.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Männer sind eigensinnig«, fuhr Kunihiko fort. »Sie klammern sich fester als Frauen an die Denkweise, in der sie erzogen wurden. Sie zeigen dadurch ihre Unreife. Erwachsene Menschen sind aus Prinzip kritisch. «
Kunihiko sprach langsam und deutlich, damit ich ihn verstand; an manchen Stellen kam mir Kunio zur Hilfe. Er übersetzte ohne Zögern, mühelos, so daß ich den Eindruck hatte, durch seinen Mund die Worte des alten Mannes zu hören.
»Ich meine, kritisch sich selbst gegenüber. Erwachsene Menschen glauben an das, was sie fühlen. Wenn ich in der Schmiede arbeite, spüre ich das Eisen als einen Teil von mir. Bevor ich morgens die Werkstatt betrete, spreche ich ein Gebet vor dem Schrein. Ich darf nur gute Gedanken haben. Eisen ist porös; jeder böse Gedanke würde in der Klinge haften. Schon früher war es wichtig, daß das Schwert keinen bösen Gedanken enthielt. Sonst hätte die Klinge die Herrschaft über die Hand ergriffen, die sie führte. Die Zeiten waren damals bedrohlich.
Unsere Kriegerkaste zog Nutzen aus Selbstbeherrschung und Todesverachtung.«
Er hob die Hand; mir fiel auf, wie zart sie war, mit feinen Rillen durchzogen wie die Maserung eines Blattes. Die Nägel, vom Alter gelblich verfärbt, waren sorgfältig gepflegt. Und trotzdem waren es die Hände eines Mannes, der den Hammer auf den Amboß schlug, mit Feuer und Stahl in Berührung kam.
»Nicht alle Menschen erreichen in der gleichen Epoche die gleiche geistige Entfaltung. Daher ist es völlig unsinnig, ihnen helfen zu wollen. Gewisse Zustände müssen durchlaufen werden. Aber moralische Überzeugungen sind keine Stützpfeiler für die Ewigkeit. Veränderungen kommen sehr plötzlich. Unserer menschlichen Entwicklung angepaßt, gibt es ein Schwert des Todes und ein Schwert des Lebens. Und ich will glauben, daß die Zeit gekommen ist, das Schwert des Lebens zu führen.
«
Ganz plötzlich verzerrten sich seine Züge; er griff an seine Brust. Rie und Kunio wechselten einen Blick.
Kunihikos Atem rasselte; von einer Sekunde zur anderen schien sein ganzer Körper wie eingeschrumpft.
Kunio hielt ihn am Ellbogen fest. Der alte Herr straffte sich, schüttelte seine Hand mit unwirscher Armbewegung ab.
»Ich bin schon wieder in Ordnung! «
»Es tut mir leid.« Ich empfand auf einmal ein starkes Schuldgefühl. »Wir haben Sie überanstrengt.«
Er schnaubte verächtlich.
»Nein, ich war ein paar Tage in Tokio. Die Hektik bekommt mir nicht mehr. Alte Männer werden Stubenhocker, wie Kater.«
Er stützte sich auf beide Hände, richtete sich ächzend auf.
Sein Gesicht war jetzt besorgniserregend bleich. Ein dünner Streifen Speichel schäumte zwischen seinen Lippen. Rie und Kunio wollten ihm beim Aufstehen behilflich sein. Er stieß sie ungeduldig von sich.
»Laßt mich in Ruhe. Ich kann noch auf den Beinen stehen und weiß, wo mein Bett ist.«
Er wandte mir die verschatteten Augen zu, beherrschte seine Stimme mit mächtiger Anstrengung.
»Gomennasai, Ruth-San. Haben Sie… Geduld mit einem alten Mann. Sobald ich wieder auf dem Damm bin, essen wir Sakura-mochi und reden. Ich… ich will Ihre Fortschritte in Japanisch prüfen.«
Er rang nach Atem und wandte sich ab. Rie führte den alten Mann behutsam weg. Seine Schritte, als er das Zimmer verließ, waren stapfend und unsicher. Kunio sammelte das Geschirr ein, trug das Tablett aus dem Zimmer. Als er wieder da war, sagte ich:
»Ich glaube, das war zuviel für ihn.«
»Wenn er ins Reden kommt, ist er nicht zu bremsen. Und es hat ihm die größte Freude gemacht.«
Wir zogen unsere Schuhe an und traten aus dem Haus. Kunio sagte:
»Komm! Meine Großmutter ist irgendwo draußen.«
Die Sonne sank; ringsum waren Bäume und Sträucher von der Zauberfülle goldenen Lichts überflutet. Taro-chan lag friedlich vor seiner Hütte und wedelte mit dem Schwanz. Wir traten aus dem Gartentor. Ein Kiesweg führte zu einem Schrein, schmucklos wie eine Hütte und ganz von Bäumen umgeben. So still war es hier, daß man eine Eichel fallen hören konnte. Kunio sagte:
»Vater
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