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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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aufregend, daß er Duelle austrug. Die Narben standen ihm gut; er sah hochmütig und verwegen aus, wie ein Pirat.
    »Ja, das finden auch die Frauen«, seufzte Iris und lachte dabei. Daß seine Affären in Danzig Stadtgespräch waren, erfuhr ich erst später, von Tante Hannah. Eigentlich sah ich Amos nur selten, zwei- oder dreimal im Jahr. Sonderbar, daß ich so viel an ihn dachte. Als ich zehn war, sagte er mir, ich sollte den
    »Onkel« weglassen, ihn einfach nur Amos nennen, was mich ungeheuer stolz machte. Ich muß von ihm erzählen, weil er ein Teil von mir geworden ist. Spreche ich von ihm, spreche ich auch von mir. Er erzählte mir tausend Geschichten, spannende und nachdenkliche, witzige und phantastische. Geschichten von Mythen und Gestirnen, von Tieren und Pflanzen; vom Stein der Weisen, von der Kraft der Intuition, von Shakespeare und Ko-pernikus, von Olympe de Gouges und Theodor Herzl. Er hat mir die Welt beigebracht. Seine Worte sind mir entfallen. Doch sein Gesicht sehe ich noch, manchmal ganz plötzlich, aus dem Gedächtnis heraus. Die Zeit geht dahin, ich weiß nicht, wie lange ich es noch in mir bewahren kann. Ich habe ja kein Foto von ihm. Nichts, außer dem Streichholz. Die Geschichten aber sind da; sie bilden den Hintergrund zu dem, was ich sein kann, falls ich nicht vorher sterbe. Wovon ich damals nichts ahnte, war die Natur der Gefühle, die mich heimsuchten, wenn er mich ansah oder mich neckte; wenn wir radfahren, schwimmen oder picknicken gingen, und im Winter Schlittschuhlaufen. Die Gefühle waren einfach da, schon immer. Denke ich an Amos, denke ich an sein Lachen, an die Straffheit seiner Muskeln, wenn er mich in die Arme nahm und zum Spaß in die Luft hob.
    Das Schicksal oder geheimnisvolle Kräfte hatten zwischen uns Bande gelegt. Das bilde ich mir nicht ein, es war wirklich so.
    Und wird auch ewig bleiben.
    Beide – Amos und Iris – hatten etwas ganz Besonderes an sich. Beide bezauberten durch ihren Charme oder erweckten Unruhe, entweder man liebte sie über alle Maßen, oder man verabscheute sie. Iris hatte wundervolles Haar, klare Nixenau-gen und das gleiche Lachen wie ihr Bruder, heiser, schelmisch, unnachahmlich. Sie erzwang nie etwas; sie tat das, was sie wollte, ganz ruhig und entschieden. Ihre Eltern waren gegen eine Mischehe; sie lamentierten, als Iris zum katholischen Glauben übertrat. Iris stellte sie vor vollendete Tatsachen. Die Trauung fand in der Überwasserkirche in Münster statt. Es wurde, wie Amos erzählte, eine »rauschende Hochzeit«. Ich lauschte dem Geräusch nach, das dieses Wort in mir verursachte. Ich sagte zu ihm: »Ich kann es hören«, und wir lachten beide. »Du bist meine Komplizin«, sagte er. Mit mir konnte er über alles spotten, ohne daß ich daran Anstoß nahm, vermutlich, weil ich die Dinge nur halb oder überhaupt nicht verstand.
    Ich tat so, als ob ich alles verstand.
    Mein Vater war Rechtsanwalt und hatte in Hamburg studiert.
    Während seiner Studienjahre war er mit Carl von Ossietzky, dem späteren Herausgeber der Wochenzeitschrift »Die Weltbühne«, befreundet gewesen. Die Hauptakteure erbitterter De-batten über die vom Nationalsozialismus ausgehende Gefahr waren häufig genug Gäste in Ossietzkys Studentenbude. Thomas gehörte dazu. Später hatten beide Männer nur selten Kontakt; geblieben war, bei Thomas, eine stille, aber beharrliche Abneigung gegen jede Form von Diktatur. Von Ossietzky wurde 1931 wegen Verrats zu achtzehn Monate Gefängnis verurteilt, wurde aber bald wieder freigelassen. Zwei Jahre später war der Brand des Reichstags; Hitler kam an die Macht. Jahre danach erzählte mir Iris, mein Vater habe damals zu ihr gesagt:
    »Dies ist das Ende unserer Welt, fürchte ich, Iris.«
    Lieder, Ansprachen und Fackelumzüge erzeugten übereifrige Begeisterung, riefen gefährliche Ausbrüche hervor. Alle muß-
    ten mitmachen, niemand sollte zu Hause bleiben. Die Menge gehorchte; ihre Seelen waren dem Augenblick ergeben. Die Atmosphäre wurde argwöhnisch, bedrohlich. Unsere Verwandten in Danzig sahen wir nicht mehr. Briefe wurden nur noch selten getauscht. Mir wurde verboten, von ihnen zu sprechen.
    Zur Sicherheit, sagte mein Vater. Amos war weit weg von mir.
    Die Zauberschleier waren zerrissen; jetzt merkte ich, wie schwierig und schrecklich das Leben ist. Darüber hatten wir niemals gesprochen. Lange, leblose Momente vor dem Fenster brachten Furcht. Überall im Land tobten Einschüchterung und Gewalt. Tatsachen, Phantasien und

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