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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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begreifen.«
    »Vielleicht doch«, sagte er leise.
    Wir sprachen nicht von Zeichen, Omen, Vorbedeutungen.
    Wir spürten sie um uns herum, wie einen Hauch, der durch das offene Fenster wehte. Ein Geheimnis war in uns. Es war stets in uns gewesen, im Schlafen und im Wachen. Wir teilten dieses Geheimnis, das die Alten für uns gesponnen hatten – und wuß-
    ten keine Erklärung dafür.
    »Schicksal?« murmelte ich.
    »Ich weiß nicht«, sagte er dumpf, »ob es einen Namen dafür gibt. Als ob zwischen dir und mir ein Faden geknüpft wäre, durch Raum und Zeit.«
    Ich schloß kurz die Augen. Und plötzlich fühlte ich eine Art Schock, einen Aufschwung wie ein Taucher, der aus dunkler Tiefe emporschießt. In Zeiten der Verwirrung gibt es solche Augenblicke, da die Seele sich erinnert. Es ist wie ein Schlaf oder eine Trance, und in dieser kurzen Ruhe der Seele entsann ich mich an den Faden, mit dem ich – tanzend – Gesunde und Behinderte verbunden hatte: damals in der »Wacholderstadt«.
    »Als ob ich diese Dinge vorausgesehen und dargestellt hät-te«, sagte ich zu Kunio. »Improvisation, was heißt das schon?
    Es handelt sich um das Denken unseres Körpers, um etwas Unverbrauchtes, außerhalb des Verstandes.«
    Er zeigte keine Überraschung.
    »Unser Geist ist so geschaffen, daß wir uns zurückwenden und gleichzeitig vorausschauen können. Manche Elemente, die wir erzeugen, sind schwer interpretierbar. Hinterher sieht man klarer und denkt, aha, das war der Grund.«
    »Du verstehst diese Dinge.«
    »Nicht immer, es tut mir leid.«
    Ich schaute in sein Gesicht und streichelte es mit den Fingerkuppen.
    »Mir geht zuviel im Kopf herum.«
    »Es ist besser, du schläfst jetzt.«
    Er hob den Arm, mit dieser kraftvollschönen Ungezwungen-heit, die allem, was er tat, eigen war, und löschte die Lampe.
    Dann legte er beide Arme um mich; so schliefen wir ein.
    Wir schliefen tief und traumlos und wachten spät auf. Wir wuschen uns und zogen uns an, im Licht dieses neuen Tages.
    Wir hatten uns nicht geliebt in dieser Nacht. Wir waren in dieser einen Nacht ohne Begehren. Wir wunderten uns nicht dar-
    über, etwas war dazwischen getreten, hatte es geteilt, auseinan-dergeweht. Es war eine Art Prüfung gewesen, ein weiterer Markstein. Es war wohl so, daß wir uns nur mit der Seele fühlen sollten.
    Wir frühstückten in der Sonne, heiter, fast gut gelaunt. Es duftete nach frischem Kaffee und Toast.
    »Ich hatte immer Mißtrauen gegen ungewöhnliche Schicksale«, sagte ich zu Kunio. »Selbst gegen solche Schicksale wie meines. Ich nenne das Feigheit. «
    Er lächelte.
    »Nein. Es braucht Mut dazu, um vor den Zuschauern zu tanzen.«
    »Angst ist immer dabei. Lampenfieber. Man gewöhnt sich daran. «
    Er hob die Tasse an seine Lippen.
    »Was nun?«
    Ich verstand sofort, was er meinte.
    »Ich werde Lea schreiben, daß ich Hanako gefunden habe.
    Ich weiß nicht, wo Lea ist. Aber ich habe die Adresse ihrer Freundin in Nizza.«
    »Wird sie weinen?«
    »Sie weint nie.«
    »Hat sie nicht daran gedacht, daß sie Hanako einmal wiederfinden könnte?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich, »daß sie daran gedacht haben muß.«
    Wir benötigen Anhaltspunke, um zu wissen, was mit uns geschieht. Zwischen Lea und mir hatte es immer einen Abstand gegeben: diese Dinge, die sie mir niemals erzählt hatte.
    »Sie war zutiefst in ihrem Stolz getroffen, das sehe ich jetzt ein. Diskriminierungen sind entsetzlich kränkend. Lea wollte nicht über den Zweiten Weltkrieg sprechen. Wozu auch? sagte sie höhnisch, der nächste steht ja schon vor der Tür. Nach dem, was sie erlebt hat, sieht sie die Welt als Horrorfilm.«
    Er nickte gedankenverloren.
    »Es stimmt schon, die alten Dämonen läßt man nicht ausster-ben. Urängste müssen geschürt werden. Die Menschen sollen daran erinnert werden, daß sie periodisch wieder gebraucht werden. Zum Töten und zum Sterben. «
    »Wer nach einer Katastrophe übrigbleibt, hat daraus gelernt oder nicht. Bei Lea wußte ich das nie so genau. Wenn irgendwo ein Massaker losbricht, meinetwegen in Afrika, dann stellt sie den Fernseher ab und legt eine Kassette ein, am liebsten Mo-zart. Sie sagt, es gibt ein Geheimnis der Musik, eine Möglichkeit der Erlösung. Oder zumindest eine Forderung danach.«
    Kunio hob die Kanne und schenkte mir Kaffee ein.
    »Ich möchte dir einiges von mir erzählen. Von dieser Sache, damals, die Schlagzeilen machte. Ich weiß nicht, warum ich jetzt darüber reden will. Sie steht mit deiner Geschichte in

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