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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ich nahm Iris die Kette mit dem Anhänger ab, die sie stets, auch auf der Flucht, getragen hatte, und befestigte sie um meinen Hals. Mein Vater hatte das Medaillon für sie anfertigen lassen und ihr zur Verlobung geschenkt. Und als ich sie dann liegen sah, von rotblonden Locken umgeben, schimmerte ihr Gesicht wie eine Maske, aus Elfenbein geformt. Das wunderbare halbe Lächeln schwebte auf ihren Lippen. Ich berührte sie sacht mit meinem Mund, und als ich mich aufrichtete, behielten ihre Lippen dieses Lächeln – und sie sollten es für immer behalten.
    Fumi Ota fragte mich, wie Iris bestattet werden sollte; hier in Japan sei es üblich, die Verstorbenen einzuäschern. Ich erklärte ihr, daß weder Juden noch Christen diesen Brauch befolgten.
    Aber Iris hatte in Japan Frieden gefunden; ich sprach den Wunsch aus, daß sie nach hiesiger Sitte bestattet werden sollte.
    Iris wäre damit einverstanden gewesen. Japanische Friedhöfe waren einheimischen Familiengräbern vorbehalten. Da sich jedoch ausländische Händler bereits um die Jahrhundertwende in Kobe angesiedelt hatten, war für sie unweit der Stadt ein besonderer Friedhof reserviert. Ein buddhistischer Geistlicher wurde mit der Zeremonie beauftragt. Fumi Ota versprach, das Grab instand halten zu lassen. Dem Brauch entsprechend, erhielt Iris einen Totennamen in Sanskrit, der Sprache des Jenseits: Shakuni-Myôko – »Lichtstrahlende Frau«. Der Priester hatte Iris nie gekannt, ich wunderte mich, daß er diesen Namen für sie ausgesucht hatte. Er mußte über ein inneres Schauen verfügen, denn welcher Name hätte besser zu ihr gepaßt?
    In aller Stille entbot ich Iris meinen Abschiedsgruß. Sie ruhte in dem Land, das uns so großmütig aufgenommen hatte, das ein freundlicher, liebevoller Hort für uns gewesen war, wo wir mehr Güte erfahren hatten, als Worte auszudrücken vermögen.
    Hier konnte ich sie zurücklassen, ohne Furcht, daß man ihrer Seele die Achtung verweigerte. Und nun stand vor mir nichts anderes als der Abschied von Hanako und eine lange, einsame Reise.
    Wir waren beide sehr traurig. Hanako weinte. Ich sagte:
    »Der Gedanke war mir nicht gekommen, daß wir uns trennen müssen.«
    »Ich weiß nicht. Ich friere.«
    Es war kalt in diesem November. Ich breitete die Decke über uns aus.
    »Ich muß wohl jetzt fahren. Deine Mutter hat es gesagt.«
    Sie schmiegte sich an mich und zitterte. Ich streichelte ihr Gesicht.
    »Ich komme wieder.«
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor hast du Angst?«
    »Vor schrecklichen Dingen. Vor dem Krieg.«
    Ich zog sie noch näher an mich. Ihr Haar lag dicht unter meinen Lippen. Ein Luftzug blies eine Strähne – leicht und sanft wie Daunen – an meine Wange.
    »Sei still.«
    »Wir werden getrennt sein.«
    »Man wird uns nicht trennen.«
    Sie schluchzte leise.
    »Ich denke zu stark daran.«
    Von draußen fiel Licht in den Raum; auf meiner Haut glitzerte ein kleiner Goldfunke. Das Medaillon! Ich ließ den Verschluß aufspringen, nahm die Kette ab und legte sie in Hanakos Hand. Sie erschrak.
    »Gomennasai! Ich darf den Schmuck nicht nehmen!«
    Ich drückte sanft ihre Finger, und sie versuchte, sie mir zu entziehen. Als sie zu widersprechen begann, sagte ich ganz schnell in einem Atemzug:
    »Bewahre ihn auf. Bis ich zurückkomme.«
    Da schlossen sich ihre Finger um den Schmuck. Sie lächelte unter Tränen. Ich fügte hinzu:
    »Das ist ein Versprechen, weißt du.«
    Wir sahen uns sehr eindringlich an. Sie sagte:
    »Schwöre es mir.«
    »Ich schwöre es.«
    Morgen früh geht die Hikawa-maru, das letzte Schiff, das mit Amerika verkehrt, sagt Fumi Ota. Die Kriegswolken breiten sich aus; das Zauberlicht der Schwertlilien schwindet. Bald werden Höllenfeuer vom Himmel fallen, die Städte in ver-seuchte Ruinenfelder verwandeln. Die Nacht wird ein Abgrund aus Finsternis sein und jeder Stern ein Seufzer. Vielleicht kommt das Ende der Welt…
    Mitternacht ist längst vorüber; du bist endlich eingeschlafen, Hanako, du atmest schwer. Du hast so große Angst vor dem Krieg. Ich habe schon so viele grausame, grauenvolle Dinge gesehen. Und manchmal wurde das Leben so furchtbar, daß Sterben leichter schien. Deswegen habe ich jetzt keine Angst mehr. Vor nichts. Krieg ist ein verfluchtes Spiel, böse und grotesk, betrieben von eiskalten Zynikern. Wer überlebt, wird ein anderer Mensch. Ob besser oder schlechter, das hängt von seinem innersten Wesen ab. Du willst wissen, ob Gott existiert?
    Er ist nicht im Himmel, Hanako, das ist eine Vorstellung

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