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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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erzählen eine Geschichte: Die Substanz der Lacke wurde aus Baumsaft gewonnen, mit Pigmenten vermischt. Eine orga-nische Glätte, rot, schwarz, golden, violett, porös und lebendig wie Menschenhaut. Die Keramiken sprachen von der Erde, von Eisen und Kupfer, von Feuer und Asche. Kostbare Stoffe verwandelten sich in Märchengewänder, in Hüllen aus schwerem Brokat, mit dickwattierten Säumen und seidengefütterten Ärmeln, aprikosenfarbig, zitronengelb, perlrosa, mit tausendfa-chen Mustern durchwebt, nach Honig und Weihrauch duftend.
    Ich tauchte in eine Welt der sinnlichen Wahrnehmungen, der Farben und Düfte und Klänge. Ein schwingender Ton wurde aus einer Bronzeglocke geschlagen, endlos sich in Kreisen vermehrend, begleitet von hölzernen Rasseln und den tiefen Stimmen der Priester. Rote Laternen schimmerten im Gold des Sonnenuntergangs. Der Verkehr brauste. In den Pachinko-Hallen rasselten und klingelten die kleinen Metallkugeln. Männer – und auch einige Frauen – saßen auf runden Schemeln, starrten wie gebannt auf die Kugeln, die, über die Eisenstifte hinweghüpfend, den Weg zum Ausgang suchten. Die drückende Tageshitze wich erst mit dem Dunkel der Nacht. Starke, träge Düfte stiegen aus den Gärten, gemischt mit dem Geruch nach gebratenem Fisch und Soja-Sauce, nach braunem Zucker und Ingwer. Über das buntzuckende Neongeflimmer segelte der goldschimmernde Mond, und in allen Büschen zirpten die Abendzikaden. Im alten Viertel Gion murmelte der Bach unter den Holzbrücken. Laternen blinkten. Vorhänge mit blauweißem Muster und schwungvollen Schriftzeichen wehten vor Sushi-Buden und schummrigen Sake-Bars. Wahrsager und Handleser saßen an kleinen Tischen, auf denen eine Kerze brannte.
    Manchmal wurde in den schmalen Gassen ein leichtes, rhythmisches Klipp-Klapp hörbar. Eine Geisha trippelte auf Holz-pantinen durch die Nacht. Ein buntschillerndes Fabelwesen, in Seide und funkelnden Brokat gehüllt; Gesicht und Nacken weiß gepudert, die Lippen kirschrot geschminkt, unnahbar und geheimnisvoll.
    »Die Erhabenheit des Anstands«, sagte Kunio. »So bezeichnen wir die Erotik der Geisha. In Kyoto wird sie Geiko-San genannt, die ›in den Künsten bewanderte Person‹.«
    Er erzählte mir viel über die Geishas. Sie versinnbildlichen die heilige Macht der Schamanen – Priesterinnen, deren Erbin-nen sie sind. Ein Abend mit ihnen kostete ein Vermögen. Sie schenkten den Gästen den Reiswein ein, das Symbol der Lebenskraft, sangen, musizierten und tanzten. Das Festessen hieß Utage, ein Wort, das die dreifache Bedeutung Haus, Sonne und Frau enthielt.
    Kunio sagte:
    »Man nennt die Geishas auch Tama, was Kugel bedeutet. Ein Tatna ist ein Talisman, ursprünglich eine Bärenkralle, später ein Achatstein, der dem Träger den Schutz der Erdmutter sicherte. Das Honorar einer Geisha wird Tama-Dai genannt. So hieß früher die Entlohnung für die Ausführung heiliger Riten.«
    »Und die Gäste?« fragte ich.
    Er grinste.
    »Zumeist Bosse aus der Finanzwelt, der Politik und der Industrie. Und auch aus dem Gangstermilieu. Die Geishas hören alles – und plaudern nichts aus. Diskretion ist Ehrensache.«
    Kunio gab zu, daß sich die Geishas nicht zimperlich zeigten, einem Kunden oft ihre Gunst gewährten. Doch das ging nur sie etwas an. Das mächtige »Geisha-Syndikat« hatte mit dem üblichen Zuhältertum nicht das geringste zu tun.
    Feste in Kyoto, Feste wie auf einer Theaterbühne, im Gleichgewicht zwischen Schein und Wirklichkeit, die alles Lebendige – Menschliche und Außermenschliche – in Fröhlichkeit vereinten. Feste für die Götter und für die Schönheit, aus denen, wie Rauch, Erinnerungen aus tausend Jahren aufstiegen. Hier begegneten sich Mythos und Glaube; Überlieferung und Geschichte erzählten gemeinsam ihre Fabel. Und da die Schutzgötter die Gipfel bewohnten, schuf man ihnen zu Ehren künstliche Berge. »Riesen-Berg« oder »Zieh-Berg«
    hießen die Kultwagen, auf denen man die Götter durch die Straßen trug. Haushohe, schwankende Wagen, aus Rundhölzern und Bambusmatten aufgebaut, auf Balkengerüsten ruhend, mit wuchtigen Rädern versehen. Unter den riesigen Rädern waren Keile befestigt; auf ein Signal hin schulterten hundert Träger gleichzeitig die angespannten Zugseile; polternd und rumpelnd setzten sich die gefährlich hohen Fahrzeuge in Bewegung. Sie trugen Tannenwipfel oder »Sonnenspeere« als Göttersitz, waren wie Bühnen ausgestattet, mit Brokat und Wappenvorhängen verhängt. Vor roten

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