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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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»Das Problem ist unser Hang zur Konformität. Netcha-Netcha!«
    Mit dieser suggestiven Lautmalerei bezeichnete sie die klebrigen Fäden gegenseitiger Abhängigkeit.
    »Aber in Europa doch auch«, meinte ich. »Unsere Gesellschaft verlangt, daß wir im Trend sind. Worauf wir alle sehr konform werden.«
    »Gleichberechtigung am Arbeitsplatz?« Rie blies gekonnt den Rauch durch die Nase. »Kompetente Frauen setzen sich durch. Haben sie das Zeug nicht dazu, bleiben sie ›Büroblu-me‹.«
    »Selbstverwirklichung heißt nicht unbedingt Karriere.«
    Sie nickte. Da war sie gleicher Meinung.
    »Hausfrau und Mutter zu sein ist auch ein Beruf, ne? Warum sollten wir wie die Männer werden? Das bedeutet doch bloß, daß wir ihre Überlegenheit akzeptieren. Warum nicht die Sache umgekehrt anpacken? Die Arbeitswelt feminisieren?«
    Ihre braunen Augen funkelten.
    »So denken wir Feministinnen in Japan. Findest du uns zu radikal?«
    »Keineswegs. Sehr weitblickend sogar.«
    Ihre Zähne glänzten wie kleine Muscheln. Sie war eine Idea-listin, eine Weltverbesserin, mir gefiel das.
    »Unsere Männer haben viel zu lange auf Kosten ihres Privatlebens dem Beruf den Vorzug gegeben. Wir ändern das jetzt.
    Und die Männer sind viel glücklicher dabei. Sie beginnen Überstunden abzulehnen. Die Familie wird ihnen wichtiger als die Firma. Den Mann zu beschützen, das ist doch unsere Aufgabe, ne? Kluge Frauen wissen das. Meine Mutter dachte nicht anders. Mein Vater vertraute ihr wie ein Kind. Das war ganz einfach so.«
    »Und Kunio?«
    Sie drückte ihre Zigarette aus. Zwischen ihren Brauen, die dunkel und klar waren, hatte sich eine Falte gebildet.
    »Hat er dir von Amerika erzählt? Sie wollten ihn dort fertig-machen. Sie können das sehr gut, weißt du. Kunio konnte sich zuwenig verteidigen. Er versuchte auch nicht, andere absichtlich mißzuverstehen. Immerhin dauerte es ziemlich lange, bis er keine Geduld mehr hatte…«
    »Aber dann wurde es ihm zuviel, und er ging.«
    »Eine Zeitlang war er sehr unstabil. Das hatte mit dieser Sache von früher zu tun. Und mit seiner verkorksten Ehe zwangsläufig auch.«
    Ich wedelte mit dem Fächer, geistesabwesend.
    »Ich sehe so gerne zu, wenn er mit deinem Vater in der Werkstatt arbeitet. Sie sind völlig aufeinander eingespielt, wie Tänzer.«
    Sie schwieg. Ein Ausdruck von Schmerz huschte über ihr Gesicht. Die Sonne schien heiß auf den Papierschirm. Ich tupfte mir behutsam den Schweiß von der Stirn.
    »Wie lange dauert es noch, bis das Schwert fertig ist?«
    Unsere Augen trafen sich. Ihre Wimpern flackerten. Sie hob langsam die Schultern und ließ sie sinken. Ihre Stimme klang plötzlich dumpf.
    »Nicht mehr sehr lange, nehme ich an.«
    Juli in Kyoto. In den Büros und Warenhäusern liefen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Touristen drängten sich in Tempeln und Schreinen. Ein Reisebus stand neben dem anderen. Kunio kam täglich. Mit ihm lernte ich Japan kennen, abseits der Klischees und der Menge. Er war mein Führer in einer Welt voller Entdeckungen und Wunder; eine Stimme, die alte oder komische Geschichten erzählte, eine Hand, die mich zu den Orten brachte, wo das Herz der alten Kaiserstadt schlug. Er führte mich in das alte Seidenweberviertel. Zu den Künstlern, die für jedes Fisch- oder Gemüsegeschäft wundervolle Reib-drucke anfertigten. Zu den Töpfern, zu Matten- und Korbflech-tern. Jeder Gegenstand erzählte eine Geschichte, sprach von einer Vision.
    Manchmal wußte ich nicht, wozu das dienen sollte, ich fühlte nur, diese Dinge waren schön. Formen, Bilder, Symbole. Eine Katze aus Keramik verkörperte den Wohlstand, zwei Kraniche die Wiedergeburt. Steinerne Füchse, auf Sockeln, waren die Boten der Reisgöttin. Die Menschen wärmten sie mit farbigen Tüchern, brachten ihnen Sushi und Reis, stellten einen Becher Wasser auf die Steinstufen. Dies geschah immer frühmorgens, oft noch vor Sonnenaufgang, wenn die beste Zeit ist, Gebete zu sprechen. Kunio zeigte mir das Verborgene, ließ mich das Nichtgesagte empfinden. Ich fühlte mich eingewoben in die duftende, urtümliche Welt dieses Landes, die hautnah unter der hektischen, grellbunten, kitschigamerikanisierten Oberfläche lag. Es war eine sehr alte Intelligenz, eine erstaunliche Konzentration der Gedanken und Empfindungen, die Menschen dazu brachte, dem Derben, dem Allzudeutlichen mit leisen Andeu-tungen, mit schwebender Poesie entgegenzuwirken. Es war wie im Märchen: Die Häuser sprachen, die Bäume flüsterten. Alle Dinge

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