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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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›Tänzerin der Sün-de‹. Er trägt ein rotes Kleid, schminkt sich die Augen pechschwarz. Und dann zieht er beim Tanzen das Kleid hoch und zeigt seinen Penis. Er ist verrückt, Ruth, klinisch verrückt…«
    Sie faßte sich an den schlanken Hals. Ich starrte sie an, fassungslos und erschüttert. Sie holte tief Atem.
    »Vor zwei Wochen hat er sich die Pulsadern mit einer Ra-sierklinge aufgeschnitten. Ich kam gerade noch rechtzeitig, bevor er das gleiche mit der Achillessehne machte. Seine Eltern sind tot. Schon seit Jahren. Jemand mußte die Verantwortung tragen. Ich ließ ihn in eine Klinik einliefern. «
    Ich schluchzte würgend.
    »Aber was brachte ihn dazu…?«
    Sie rieb sich müde die Stirn.
    »Erblich? Schon möglich. Krankheiten? Er litt unter Schlaf-störungen und Alpträumen schon als Kind. Du weißt, daß er trank und nicht selten betrunken zu den Proben kam. Aber sobald er die Bühne betrat, tanzte er wundervoll. Er war ein Genie, Ruth. Solche schönen, schwachen Menschen brauchen jemanden, der sich ihrer annimmt, mit Liebe, und ihnen die Sicherheit zurückgibt, die ihnen entgleitet. Ich jedoch wollte tanzen.«
    »Ist er auf dich eifersüchtig?«
    Sie zog die Stirn kraus.
    »Eifersüchtig? Nein, das glaube ich nicht. Aber auf irgendeine verdrehte Art habe ich ihm seine Kraft genommen, statt ihm meine Kraft zu schenken. Diese Schuld muß ich wohl auf mich nehmen.«
    »Wahrscheinlich hätte er ohnehin den Verstand verloren, wenn du nicht gewesen wärest… «
    »Das mag sein. Wir wissen ja alle nicht, wann in unserem Leben der Tod beginnt. Bewegt sich unser geschmeidiger Körper im Bühnenlicht, tauchen wir schon in die Dunkelheit hinab.
    Es ist der Tod, der mit uns tanzt, uns umhüllt wie Rauch. Wir jedoch wissen es nicht. Nur unser Körper spürt das Schwarze, das über ihn kommt. Und jede Bewegung ist von vollendeter Schönheit… «
    Sie führte die Zigarette an die Lippen, tat einen tiefen Zug.
    Schatten streiften mich; ich fror trotz der Hitze.
    »Besteht irgendeine Hoffnung? Ich meine… kann er geheilt werden?«
    »Sie behandeln ihn mit Medikamenten.«
    Ihre flackernden Augen zeigten, wie verzweifelt sie war. Und trotzdem spürte ich in ihr eine zähe, verbissene Kraft. Die heftige Neigung, die ich für sie empfand, mußte wohl diesem Gefühl entstammen. Manche Menschen, dachte ich, könnten solche Energien nicht in sich bewahren, weil die Blutgefäße sie nie aushalten würden. Sie sprach weiter, mit rauher Stimme, und ließ die Zigarette im Mundwinkel hängen.
    »Bevor ich dich anrief, ein paar Stunden vorher, da hatte ich ihn in der Klinik besucht. Er hatte versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen, sein Gesicht war durch Schnittwunden entstellt.
    Man hatte ihm das Haar geschoren, um die Wunden besser behandeln zu können, und ihn mit Medikamenten benommen gemacht. Als er mich sah, knirschte er mit den Zähnen und ließ eine Art Schnattern hören. Ich kannte dieses Geräusch. Er erzeugt es auf der Bühne, beim Gaki-Tanz. Der Gaki ist eine Figur aus einer volkstümlichen Legende: Ein Mensch stirbt den Hungertod und lebt im jenseits als Dämon weiter, in der Gestalt seines bis aufs Skelett abgezehrten Körpers. Was Keita damit ausdrücken wollte, war, daß er nach Liebe hungerte, daß ich ihn allein gelassen hätte. Es war eine Anschuldigung, versteht du? Wenigstens empfand ich es so. Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. Es war die Hölle für mich. Ich erklärte dem Arzt, daß ich ihn eine Zeitlang nicht mehr besuchen wollte. Der Arzt sagte: ›Ja, es ist vielleicht besser. Er ist immer sehr aufgeregt, nachdem Sie da waren. Aber Sie dürfen sich nicht die Schuld geben. Keiner weiß genau, welche inneren Bilder die Kranken quälen.‹
    In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich stellte den Fernseher an, aber um diese Zeit senden sie ja lauter Unsinn, Porno-filme und so. Ich hielt es nicht mehr aus, zog einen Trainingsanzug an, wanderte durch die Straßen. Am Bahnhof von Ueno rief ich dich an. Ich mußte mit jemandem sprechen. Aber das waren Dinge, die ich nicht am Telefon sagen konnte. Außerdem war Kunio bei dir. In der Halle schliefen Obdachlose, auf Zeitungen. Ich setzte mich zu ihnen. Wir redeten eine Weile.
    Sie gaben mir von ihrem Whisky. Wie du weißt, trinke ich nicht viel, und der Whisky schmeckte abscheulich. Aber ich blieb bei ihnen, bis es Tag wurde. Als die ersten Vorstadtzüge eintrafen, stand ich auf und ging. Ich fühlte mich schmutzig und schlapp. Ich hatte einen

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