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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mir einen scharfen Blick zu, wachsam, distanziert und zugleich voller Wärme.
    »Möchtest du etwas Neues dazulernen?«
    »Immer«, erwiderte ich, voller Aufrichtigkeit. »Ich bin regel-recht versessen darauf. «
    »Es gibt da verschiedene Möglichkeiten…«
    Sie zog eine Hand aus der Tasche. Ihr graziler Finger mit dem roten Nagel zeichnete das rautenförmige Muster der Decke nach.
    »In Kyoto wohnt ein Onkel von mir. Er ist ein hoher Shinto-Priester. Er kennt einen Lehrer, auch ein Priester, der ein Bugaku-Ensemble leitet. Bugaku ist eine der ältesten Tanzformen der Welt, weit über tausend Jahre alt. Viele Lehrer halten sich strikt an die Tradition. Aber Sagon Mori – so heißt er – sperrt sich nicht fremden Einflüssen. Er glaubt an die Notwendigkeit einer Wiederbelebung.«
    Ich lauschte dem Echo ihrer Worte.
    »Ja, und?«
    Naomis Pupillen schimmerten im Licht. Sie sagte:
    »Er nimmt auch ausländische Schüler.«
    Ich spürte ein seltsames Prickeln im Nacken; wie eine Feder, die mir über die Kopfhaut strich.
    »Würde er mich unterrichten?«
    »Er nimmt nicht jeden x-beliebigen.«
    »Ich kann nicht Japanisch«, entgegnete ich.
    »Das bringst du dir schnell bei.«
    Ich schwieg eine Weile. Dann sagte ich:
    »Meine Mutter hat Geld. Ich nicht. Ich bitte sie nie um Geld, das ist eine Abmachung zwischen uns. Ich sehe selbst, wie ich zurechtkomme. Ist der Unterricht teuer?«
    Ein kleines Lächeln hob ihre Mundwinkel.
    »Sagon Mori würde dich umsonst unterrichten.«
    »Ach!« rief ich. »Warum sollte er bei mir eine Ausnahme machen?«
    Sie erwiderte meinen Blick, wobei sie das Lächeln auf den Lippen behielt.
    »Vielleicht, weil es ihm Spaß macht. Und du kannst billig in Japan leben, wenn du nicht als Touristin gehst.«
    Langsam verschwand die Betroffenheit, die mich lähmte. Ein anderes Gefühl ergriff mich. Viele andere Gefühle. Sie zogen durch mich hindurch wie Wolken. Es schien mir, daß ich ein Recht hatte, Dinge auszusprechen, die mir auf der Seele lagen.
    »Eigentlich denke ich nicht viel über meine Großmutter nach, nur manchmal.«
    »Die Großmutter, die in Japan starb?«
    »Ja. Sie hieß Iris und entstammte einer Familie polnischer Juden. Mein deutscher Großvater war gegen Hitler. Als er verhaftet wurde, ging Iris zu ihren Eltern zurück. Beim Einmarsch der deutschen Truppen in Polen versuchte sie das Land zu verlassen. Ihre Rettung verdankte sie dem japanischen Konsul in Kaunas, damals die Hauptstadt von Litauen, die von den Sowjets besetzt war. Der Konsul stellte ihr ein japanisches Transitvisum aus, bevor die Sowjets ihre Grenzen schlossen.«
    Naomi sagte nichts. Sie fuhr fort, mich ruhig, nachdenklich und sehr genau zu betrachten. Ich erzählte weiter:
    »Iris war damals schon krank. Die Reise verbrauchte ihre letzten Kräfte. Ihr Ziel war Amerika. Sie wollte ihre Tochter Lea in Sicherheit wissen.«
    »Lea?« unterbrach mich diesmal Naomi.
    »Meine Mutter«, sagte ich.
    Sie nickte.
    »Ich verstehe.«
    Der Wind ließ die Scheiben klirren. Ich lauschte auf das Ge-räusch. Der Sturm war wirklich stark.
    »Und dann?« fragte Naomi.
    »Iris traf todkrank in Japan ein. In Kobe wurde sie von einer japanischen Ärztin aufgenommen und gepflegt. Die Ärztin hieß Fumi Ota. Sie hatte eine Tochter, Hanako. Lea und Hanako wurden Freundinnen. Dann starb Iris. Meine Mutter verließ Japan, ein paar Wochen bevor der Krieg mit Amerika ausbrach.«
    Ich erzählte ihr die ganze Geschichte.
    »Eigentlich seltsam, nicht wahr?«
    Das Lächeln, das so plötzlich, offen und voller Charme war, kam abermals auf Naomis Lippen.
    »Wieso seltsam?«
    »Diese Treue, meine ich, nach so vielen Jahren.«
    Jetzt zeigten ihre Züge einen Anflug von Spott.
    »Man schreibt und spricht viel über Japan. Vieles ist falsch.
    Ich bin objektiv, weil ich Vergleichsmöglichkeiten habe. Wir Japaner brauchen lange, bis wir unsere Freundschaft schenken.
    Und dann bewahren wir sie – bis in den Tod.«
    »Und manchmal über den Tod hinaus«, sagte ich leise.
    Ein leerer Ausdruck trat in ihre Augen. Sie erwiderte, noch leiser und sanfter:
    »Es ist schwierig, das alles zu erklären.«
    Ich schüttelte lebhaft den Kopf.
    »Nein, sag nichts! Diese Dinge will ich selbst empfinden.«
    Unsere Blicke hielten einander für kurze Zeit fest. Die Matratze federte leicht zurück, als sie sich erhob.
    »Wir treffen uns in Luzern«, sagte sie.
    5. Kapitel
    W ir gaben unsere Vorstellungen in Österreich, in Frankreich und im Tessin. Mit gutem Erfolg.

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