Seidentanz
leuchteten unter Planen. Reisgebäck und bunte Süßigkeiten wurden in aquariumgleichen Gläsern angeboten.
Gerüche nach gegrilltem Fisch, nach Sojasauce und Ingwer drangen auf die Straße. Kichernde Teenager führten Rucksäcke in Form von Teddybären oder Pandas spazieren. Schüler in schwarzer Uniform drängten sich vor einem Schnellimbiß-
Wagen und schlürften heiße Nudeln. Über den Straßen hing ein dichtes Netz von Elektrizitäts- und Telefonleitungen, das den Eindruck einer skurrilen, liebenswerten Unordnung noch verstärkte. Sie paßte zu den wirren Bildern, die mir dieser Tag hinterließ. Die Stadt rückte mir plötzlich ganz dicht auf die Haut. Wie eine Umarmung war das, eine Verheißung. Ich fühl-te mich müde, geborgen und glücklich. Nun schlurfte Naomi auf ein Holzhaus zu, merkwürdig geformt, einstöckig, mit einem Dach aus Ziegeln. Hinter einer Betonmauer verbarg sich ein Garten, kaum drei Schritte groß, in dem ein paar rundge-schnittene Buchsbäumchen und verblühte Azaleenbüsche wuchsen. In einem Kakistrauch war ein Vogelhäuschen angebracht. Eine schmale Außentreppe führte in den ersten Stock.
Naomi wühlte in der Gesäßtasche ihrer Jeans, brachte ein Schlüsselbund zum Vorschein.
»Im August muß ich hier raus«, sagte sie. »Die Tochter der Besitzerin zieht ein. Schade!«
Die Tür schlug hinter uns zu. Wir stellten das Gepäck ab, schlüpften aus unseren Turnschuhen. Naomi machte Licht, schob eine Trennwand aus Holz und Reispapier beiseite. Das Zimmer war klein, die eingeschlossene Luft roch stickig. Matten aus Reisstroh, ziemlich abgetreten, federten angenehm unter meinen müden Füßen. Naomi öffnete die Glastür zum Balkon; das Nachbarhaus stand dicht davor, aber die Fenster hatten blinde Scheiben, so daß ich nur zwei erleuchtete Recht-ecke sah. Das Studio war dürftig möbliert: ein niedriger Tisch, ein paar Sitzkissen. Regalfächer waren mit Büchern, zerlesenen Zeitschriften, mit Krimskrams und Souvenirs beladen. Die Bettmatratzen wurden tagsüber in einem Wandschrank aufbe-wahrt. Ein kurzer Noren – ein Batikvorhang – verdeckte den Eingang zur Kochnische. Ich sah einen Kühlschrank und einen Gasherd; ein billiger Schrank für Vorräte und Geschirr war an der Wand angebracht. Naomi schaltete den Kühlschrank ein, warf einen Blick in die Regale.
»Wir müssen einkaufen. Außer Pulverkaffee und Trocken-milch ist nichts da.«
»Wenn man drei Monate weg war…«, sagte ich.
Ich massierte mir die Schläfen. Sie nickte mir zu.
»Kopfschmerzen? «
»Ja, ein wenig.«
»Nimm ein Bad. Ich lasse sofort Wasser einlaufen.«
Das Badezimmer befand sich hinter einem winzigen WC-Raum. Über die kleine, sehr tiefe Wanne war eine Abdeckung aus blauem Plastik gerollt. Ein Abflußrohr war in die abgenutzten Bodenfliesen eingelassen. Der Wasserhahn ragte direkt aus der Wand. Der Strahl rauschte. Die Wanne füllte sich schnell, bald war der Raum mit Dampfschwaden erfüllt.
»Nicht zu heiß!« warnte mich Naomi. »Das strengt das Herz an, wenn man es nicht gewohnt ist. «
Sie hatte mir erklärt, wie man in Japan badet. Neben der Wanne standen ein niedriger Hocker und eine Schüssel, beide aus blauem Plastik. Ich füllte Wasser in die Schüssel, ließ es über mich rieseln. Zuerst wusch ich mir das Haar, massierte die Kopfhaut in sanften, kreisenden Bewegungen. Dann seifte ich mich ein, rubbelte mich mit einem Waschlappen, bevor ich mich mit einigen Wasserladungen begoß, die letzten duftenden Schaumreste wegspülte. Vorsichtig tauchte ich den Arm in das Wasser. Zu heiß! Ich drehte den Hahn auf, ließ kaltes Wasser einlaufen, bis das Bad die richtige Temperatur hatte. Erst jetzt stieg ich in die Wanne, tauchte ganz langsam in das Wasser.
Ich lehnte mich mit angezogenen Knien zurück. Die Wärme drang mir bis ins Mark, lockerte und entspannte meine verkrampften Muskeln. Da mir der Schlaf fehlte, war mein Denken langsam. Ich schloß die Augen, halb wachend, halb träumend. Nach einer Weile hörte ich ein Geräusch, schlug träge die Lider auf. Naomi, völlig nackt, lehnte an der Tür und hielt zwei kleine Schälchen in der Hand.
»Ich habe noch eine Flasche Sake gefunden.«
Sie kniete neben der Wanne, hielt mir das Schälchen hin. Ich bewegte mühsam den Kopf, hob schlapp beide Hände aus dem Wasser. Sie waren rot von der Hitze.
»Arigato – Danke!«
»Kampai!«
Sie hob ihr eigenes Schälchen, lächelte mich an und trank.
Ich sah auf ihre Hände; Kinderhände, sehr klein und
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