Seidentanz
für ein paar Tage verschwunden gewesen sein. Es wurde eine konfuse Geschichte daraus, der Vater hatte inzwischen die Polizei verständigt. Weil er eine Berühmtheit war, schalteten sich die Medien ein. Was eigentlich los war, kann ich dir nicht sagen, es ist schon zu lange her. Jedenfalls blieb Kunio nicht in Miwa.
Die Eltern schickten ihn zu Verwandten, nach Tokio. Seitdem habe ich nie mehr etwas von ihm gehört. Ich war sehr überrascht, ihn hier anzutreffen.«
Was steckt dahinter? überlegte ich. Du bist nicht wie andere Männer; ich könnte schon einige nennen, die anders waren, aber nicht so wie du. Du bist – irgendwie – ein gezeichneter Mann. Unbestimmt, instinkthaft wußte ich, daß eine Verbindung zwischen uns bestand. Der Anfang war gemacht; der Faden begann, sich abzuspulen und den Traumstoff zu festigen.
Ich nahm dieses Gefühl wahr, beobachtete es neugierig und freudig erregt, aber ohne Ungeduld. Alles, was geschehen muß-
te, würde geschehen. Ich wußte das so sicher wie sonst nichts.
11. Kapitel
A m Sonntag abend packte Naomi ihren Rucksack, ging stumm durchs Zimmer, suchte ihre Sachen zusammen. Gewohnt, mit wenig Gepäck zu reisen, nahm sie nur das Nötigste mit. Sie war in Tagträume entrückt, als ob sie in die Vergangenheit griff, nach der Schminke und den Kostümen einer alten Inszenierung suchte. Der wunderbare Hochzeitskimono, den sie als »Vögelfrau« getragen hatte, hing zum Auslüften über einem lackierten Rahmen. Naomi nahm ihn ab; sie brauchte ihn jetzt nicht mehr. »Keita wird mit anderen Requisiten arbeiten.«
Sie neigte sich mit einem Ausdruck zärtlicher Trauer beinahe lasziv über die Robe, faltete sie sorgsam zusammen und legte sie in eine Kommode aus Weißholz. Ich fand es schade, daß das Prachtgewand in einer Schublade verschwand; eine grün-schillernde Sonne schien plötzlich erloschen. Doch meine Ge-fühle waren zwiespältig; aus irgendeinem Grund war ich froh, den Kimono nicht mehr zu sehen.
Naomi war plötzlich müde und gähnte. Wir breiteten die Futons auf der Matte aus. Sie bestanden aus einer etwa zehn Zentimeter dicken, wattierten Matratze, die mit Baumwollstoff überzogen war. Ein zweiter, leichterer Futon, mit Daunen ge-füllt, diente als Decke. Diese Daunendecke glich die Tempera-turen aus, so daß es uns nie zu warm oder zu kalt wurde. Morgens hängten wir sie zum Auslüften auf den Balkon, bevor wir sie wieder in den Wandschrank zurücklegten. Bevor wir zu Bett gingen, trank Naomi ziemlich viel Sake und blieb lange im Bad; als sie unter die Daunen schlüpfte, schlief sie fast augenblicklich ein. Naomis ganze Stärke schien mir darin zu liegen, daß sie sich die Illusion bewahrte, ihr Leben mit Keita habe noch irgendeinen Sinn. Die Nacht war lauwarm. Im kleinen Garten zirpte eine Glockenzikade: ein seltsames Schwirren und Sirren, einer schnell geschlagenen Harfe gleich, ein Klang, der auf der Haut perlte. Naomi lag auf der Seite, ihr fülliges Haar breitete sich auf dem Kissen aus. Es fühlte sich, durch den Dampf feucht geworden, schwer an. Es machte mich ergriffen, sie in meinen Armen zu halten, ihren Atem an meiner Schulter zu spüren. Sie war so feinknochig, so zierlich. Doch etwas war in ihr – etwas Unnachgiebiges, Rücksichtsloses. Sie liebte die Herausforderung; für manche Menschen konnte sie bedrohlich werden. Mich ängstigte sie nicht.
Ich schlief kaum in dieser Nacht. Immer wieder packte mich der Schmerz. Im Grunde war es kein richtiger Schmerz, sondern eher die Furcht, Schmerzen zu empfinden, die noch gar nicht da waren. Woher dieses Gefühl kommen mochte? Ich wußte es nicht, aber ich spürte es ganz deutlich. Diese vage Unruhe hielt mich wach, und ich zuckte bei jedem Geräusch zusammen, beim fernen Heulen eines Feuerwehrwagens, beim Schrei eines Nachtvogels oder auch nur beim Schleifen eines Zweiges an der Balkonbrüstung. Erst lange nach Mitternacht fiel ich endlich in den Schlaf. Und wie jeden Morgen weckte uns der Nachbar, der punkt halb sieben mit Getöse seine Schiebetür aufriß.
Milchige Helle strömte in das Zimmer. Naomi regte sich, blinzelte und sah auf die Uhr. Der Shinkanzen nach Kobe fuhr um acht. Wir duschten uns; ich machte die Kaffeemaschine an, schüttete Cornflakes in eine Schüssel und stellte die Milch daneben. Der Toaster klingelte. Naomi zog mit einer Pinzette zwei Schnitten geröstetes Brot heraus. Das grelle Morgenlicht beleuchtete ihr Gesicht. Ich bemerkte einige Falten um ihre Lippen, und unter ihren Augen
Weitere Kostenlose Bücher