Seidentanz
flammenartige Ornamente auf, türkisblau, jadegrün oder vergoldet. Das Trommelfell, mit dem schwarzen, abgenutzten Symbol der Kaminari – der Windschraube – versehen, wirkte wie ein Antlitz, von dunklem Gold umgeben. Während ich die Trommeln betrachtete, hörte ich draußen Schritte. Sagon Mori stapfte in seiner schwerfälligen Art in den Raum und schloß schwungvoll die Tür hinter sich. Er trug das weiße Priestergewand, darüber die übliche Hakama, doch diesmal war sie dunkelbraun. Die Kleidung ließ die kräftigen Linien seines Körpers hervortreten, und sein lächelnder Mund rief in mir ein merkwürdiges Glücksgefühl hervor. Ich verneigte mich; mein Gruß wurde mit knapper, aber freundlicher Kopfneigung erwidert.
Hier war ich kein Gast mehr, sondern eine Schülerin.
»Nun, wie ist’s dir inzwischen ergangen? Keine Probleme mit dem Essen?«
Mir war bereits aufgefallen, daß die Japaner sich beharrlich erkundigten, ob die Ausländer mit ihrem Essen zufrieden waren. Dabei zeigten alle einen besorgten, zweifelnden und leicht zerknirschten Ausdruck. Und genau dieser Ausdruck lag jetzt auf dem Gesicht des Priesters, so daß ich ein Auflachen mit knapper Mühe unterdrückte.
»Nein, überhaupt nicht.«
Er musterte mich, als traute er mir nicht ganz. »Wirklich?«
»Ich finde japanisches Essen vorzüglich.«
Nachdem er diese schwerwiegende Angelegenheit zu seiner Zufriedenheit geklärt hatte, schlurfte er über die Matte, um mir die Instrumente zu zeigen.
»Ich lasse sie von einem Meister anfertigen. Unsere Gruppe ist klein, nur zwanzig Musiker und Tänzer; wir sind auf die Spenden des Schreins angewiesen. Aber bei den Instrumenten schaue ich nicht auf die Kosten. Die Instrumente müssen Spannung enthalten. Es gibt solche, die diese Spannung gar nicht haben und auch nicht übertragen können. Damit kann ich nichts anfangen.«
Im Raum befanden sich noch zwei Zylindertrommeln, einige Sanduhrtrommeln (die auf der Schulter geschlagen wurden), eine kupferne Riesenpauke, Zimbeln sowie eine Anzahl Blas-und Saiteninstrumente, sorgfältig in fließenden Purpurcrêpe eingewickelt. Nun kniete Sagon vor einer kommodenartigen Holztruhe nieder, mit Eisenbeschlägen versehen. Behutsam zog er eine Schublade auf; zum Vorschein kamen Gewänder, alle sorgfältig gefaltet. Mir fiel die Farbpalette auf: Ein Teil der Gewänder schimmerte in warmen Erdtönen: rostrot, zitronengelb und golden; der andere zeigte kühle Töne, vom tiefen Kobaltblau zum hellen Aquamarin. Ich fragte nach der Bedeutung der Farben. Der Meister gab bereitwillig Auskunft.
»Das ist die Komagaku-Tradition; ursprünglich stammt sie aus China. Rot ist die vornehme Farbe, die Farbe der Götter und Könige. Ihr Auftritt auf der Bühne erfolgt immer von links, von der Seite des Herzens. Alle grünen Töne sind Ergänzungs-farben, wie sie ja in der Natur auch sind. Ihr Auftritt erfolgt von rechts.«
Vortanzen bedingt eine Art Abmachung, eine gegenseitige Bereitschaft. Die Zusammenarbeit zwischen Sagon und mir war seltsam, denn keiner wußte etwas vom anderen. Aber ich hatte Vertrauen zu ihm; er würde mich jetzt erst einmal machen lassen und dann versuchen, etwas Neues aus mir herauszuholen und zu gestalten. Und dieses Neue war es, das mich interessierte.
Sagon fragte, ob ich Musik brauchte. Ich schüttelte den Kopf.
Nein, es ging auch ohne. Stand- und Bodentraining hatte ich schon zu Hause gemacht. Und ein fertiges Bild hatte ich eigentlich nie von einer Choreographie. Es kam immer wieder anders, auch wenn ich die Rolle schon zehnmal getanzt hatte. Der Priester ließ sich auf der Strohmatte nieder, verschränkte die Arme in der ihm eigenen Geste und wartete. Das Neonlicht beleuchtete die breiten Nasenflügel, die leicht hochgezogenen Brauen, die festen Lippen. Undurchdringliche Ruhe lag auf seinem Gesicht. Das Weiß seiner Augen glänzte und gab seinem Blick die Magie eines Marmorauges.
Ich atmete ein paarmal tief ein und aus; die Stille war nun vollkommen. Eine Weile nahm mich das Dehnen und Einziehen meiner Lungen völlig in Anspruch. Das Herz im Zentrum flatterte aufgeregt, bevor es sich langsam beruhigte. Aus irgendeinem dunklen Gefühlsgrund stieg der Rhythmus in mir auf, zuerst verschwommen, dann deutlicher. Ich überschritt in unbeweglicher Haltung einen Punkt, an dem die Zeit aufhörte und ich kaum noch die Dinge sah, die mich umgaben. Als die Formen der Hängetrommeln sich auflösten und zu schweben begannen, rührte ich mich. Alles kam ganz
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