Seidig wie der Tod
Küche, um Tee zu kochen. Als er den Raum verließ, schloss Desiree die Augen, und wenige Minuten später war sie eingeschlafen.
Roman fand sie dort, wo er sie zurückgelassen hatte, blass und verwundbar wie zuvor, und ihr Anblick weckte Gefühle in ihm, die so neu und ungewohnt für ihn waren, dass er einen leisen Fluch ausstieß.
Nachdem er die Teekanne und zwei Tassen auf den Couchtisch gestellt hatte, deckte er Desiree behutsam mit einer weißen Häkeldecke zu.
Sie rührte sich nicht. Ihr Haar bedeckte das Kissen wie ein bronzefarbener Fächer, ihre Wimpern berührten ihre Wangenknochen, ihre Lippen waren leicht geöffnet und ließen Roman an Dornröschen denken, das auf den Kuss des Prinzen wartete. Das Problem war nur, dass Desiree zwar eine schlafende Prinzessin sein mochte, er jedoch kein Prinz war.
Was auch nicht ganz korrekt war, ermahnte er sich in Erinnerung an den Spitznamen, den seine früheren Kollegen bei Gericht für ihn erfunden hatten.
Um Desiree nicht zu wecken, ließ Roman sich auf einem Sessel ihr gegenüber nieder. Während er seinen Tee trank und ihren Schlaf bewachte, fragte er sich, ob überhaupt eine Chance bestehen mochte, dass der ‚Fürst der Finsternis‘ die schöne Maid für sich gewann.
Ein Klopfen an der Haustür weckte Desiree aus ihrem tiefen, traumlosen Schlaf.
„Verdammt, Desiree!“, schrie eine tiefe Stimme vor dem Haus. „Ich weiß, dass du da bist. Also mach schon auf!“
Seufzend strich sie ihr zerzaustes Haar zurück. „Reg dich nicht auf, ich komme ja schon“, murmelte sie, während sie sich widerstrebend aufrichtete und zur Tür ging. „Was kann ich für Sie tun, Officer?“
„Du verdienst eine Tracht Prügel“, knurrte O’Malley, als er an ihr vorbei ins Haus marschierte.
„Dann müsste ich dich wegen Misshandlung anzeigen.“ Sie schloss die Tür und folgte ihm ins Wohnzimmer.
„Da mir der Gedanke, dir deinen hübschen Po zu versohlen, von Tag zu Tag verlockender erscheint, bin ich bereit, das Risiko einzugehen“, versetzte er. „Was glaubst du eigentlich, was du tust, verdammt?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich nehme an, du sprichst von meinen Morgennachrichten.“
„In denen du diesen Kerl praktisch aufgefordert hast, dich zu vergewaltigen!“
„Ich glaube, das war es nicht, was ich ihm vorschlug.“
„Du hast ihm ein Gespräch angeboten, verdammt noch mal! Jederzeit. Egal ‚wo‘“, zitierte er.
„Ich habe ihn aufgefordert, sich zu stellen, und ihm bloß angeboten, ihn ins Polizeipräsidium zu begleiten, um seine Sicherheit zu gewährleisten.“
„Ach nein! Seit wann sorgst du dich um die Sicherheit von Mördern?“
„Ich sorge mich um seine nächsten Opfer.“
Da sie das Gefühl hatte, jetzt Kaffee zu brauchen, wandte sie sich zur Küche. Als sie die Teekanne auf der Anrichte stehen sah, erinnerte sie sich, dass Roman ihn für sie zubereitet hatte. Ein rascher Blick verriet ihr, dass seine leere Tasse auf dem Couchtisch stand. Desiree errötete vor Verlegenheit. Wie lange mochte er dort gesessen und sie im Schlaf betrachtet haben, bevor er es leid geworden und heimgegangen war?
Doch sie hatte im Moment Wichtigeres zu tun, als über Roman nachzudenken, und konzentrierte sich deshalb auf O’Malley. „Ich dachte, der Täter hätte vielleicht Angst, einen ‚Unfall‘ zu erleiden, wenn er allein zur Polizei ging. Deshalb bot ich ihm an, ihn zu begleiten.“
„Und hast dem Kerl damit die Publicity gewährt, die er sich ersehnte! Woher willst du wissen, dass er jetzt nicht von Neuem zuschlägt, damit noch mehr über ihn berichtet wird?“, versetzte O’Malley wütend und beugte sich vor, bis seine Nase fast Desirees Gesicht berührte. „Ist dir eigentlich bewusst, wie viel Publicity der Kerl erreichen würde, wenn du sein nächstes Opfer wärst?“
Nein. Seltsamerweise ging ihr jetzt mit Schrecken auf, hatte sie diese Möglichkeit nie bedacht. Klar, sie war entsetzt gewesen, als sie von den Seidenbändern gehört hatte, aber als der Mörder sich nicht mehr mit ihr in Verbindung setzte, hatte sie sich schließlich eingeredet, dass es nur Zufall gewesen war.
„Vielleicht hätte ich es gründlicher durchdenken sollen“, gab sie zu. Das Problem war nur, dass sie, seit sie Roman kannte, erschreckend leichtsinnig geworden war und das dies zu einem schweren – vielleicht sogar lebensgefährlichen – Fehler geführt hatte.
„Du hättest vorsichtiger sein müssen“, erwiderte O’Malley etwas sanfter.
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