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Seidig wie der Tod

Seidig wie der Tod

Titel: Seidig wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Ross
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versprochen, auf der Couch saß, an ihrem Eierlikör nippte und Nat King Cole lauschte, der versprach, zu Weihnachten wieder daheim zu sein.
    „Gefällt er Ihnen nicht?“ Roman stieg von der Leiter herab und betrachtete den hübsch geschmückten Baum.
    „Er ist wunderschön. Höchstens ein bisschen zu groß vielleicht.“
    „Er wirkte zwischen all den anderen Bäumen kleiner.“ Roman ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder. „Wer weiß, vielleicht habe ich ja doch ein wenig übertrieben.“
    Sein enttäuschter Blick war so ganz anders als das Stirnrunzeln, an das sie inzwischen bei ihm gewöhnt war, dass Desirees letzter Widerstand dahinschmolz. „Als kleines Mädchen habe ich immer von einem solchen Baum geträumt.“
    Roman grinste. „Ich erinnere mich noch gut an das scheußliche Ding aus rostfreiem Stahl, das zu Weihnachten im Vorgarten Ihrer Großmutter aufgebaut wurde. Mein Vater sagte immer, er sähe aus wie der Abstellplatz eines Gebrauchtwagenhändlers.“
    Desiree lachte zustimmend. „Ich glaube, Ihr Vater wäre mir sympathisch.“
    „Sie ihm auch“, erwiderte Roman aufrichtig. „Was mich zu der Frage bringt, ob Sie mir einen Riesengefallen tun würden.“
    Desiree war entspannt wie schon sehr lange nicht mehr. „Wie könnte ich das ablehnen, nachdem Sie mir einen so schönen Baum gebracht haben?“ Sie schaltete die Lampe neben der Couch aus, um ihn in seiner ganzen funkelnden Pracht zu sehen. „Meinen Sie, es wäre schon zu spät, mein Haus noch in die weihnachtliche Häusertour aufnehmen zu lassen?“, erkundigte sie sich scherzhaft und bezog sich dabei auf eine Veranstaltung zu wohltätigen Zwecken, über die sie früher berichtet hatte, bevor sie Kriminalreporterin geworden war.
    „Komisch, dass Sie das erwähnen“, sagte Roman, „denn darum wollte ich Sie bitten. Meine Eltern stellen dieses Jahr ihr Haus für die Tour zur Verfügung, und wie Sie sicher wissen, gehören Musiker und Chöre bei diesen Veranstaltungen zu den größten Attraktionen.“
    Desiree nickte und fragte sich, worauf er wohl hinauswollte.
    „Nun ja, irgendwie hat meine Mutter mich jedenfalls überredet, das Saxofon zu spielen. Seit dem College habe ich nicht mehr vor Publikum gespielt, und daher wäre es nett, wenn mir außer meinen Eltern noch jemand anderes moralische Unterstützung bieten würde. Was meinen Sie?“
    Desiree wusste nicht, worüber sie erstaunter sein sollte – dass Roman Musiker gewesen war oder dass er sich seiner Mutter zuliebe so bereitwillig ins Scheinwerferlicht begab.
    „Ich weiß nicht. Ich bin sprachlos.“
    Wie nebenbei legte er seinen Arm um ihre Schultern. „Sagen Sie einfach ja.“
    Dieser heitere, unkomplizierte Mann in ausgeblichenen Jeans und Cowboystiefeln, der ihr einen Baum gebracht hatte, Eierlikör und sogar CDs mit Weihnachtsliedern besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit jenem anderen Mann, der sich in diesem düsteren, unheimlichen Haus vergraben hatte.
    „Sagen Sie mir die Wahrheit: Was haben Sie mit dem echten Roman Falconer angestellt?“, fragte sie, nur halb im Scherz.
    „Sie sitzen ihm gegenüber.“
    „Wer war dann der andere Mann in Ihrem Haus? Ihr böser Zwillingsbruder etwa?“
    „Das wäre eine Antwort“, murmelte er und gestand sich seufzend, dass er ein Narr gewesen war, zu glauben, dass er etwas ändern konnte, ohne etwas zu erklären. Das Problem war nur, dass er, um Desiree etwas erklären zu können, es zuerst selbst verstehen müsste. Was ihm aber leider nicht gelingen wollte.
    Er nahm ihre Hand. „Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Ich war nicht gerade fit in letzter Zeit.“ Das war mächtig untertrieben. „Aber ich verspreche, mich zu bessern.“
    Sie schaute auf ihre verschränkten Hände herab und dachte, wie gut sie ineinander passten. „Darf ich fragen, was diese Sinnesänderung bewirkt hat?“
    „Eine Überdosis Festtagsgeist würden Sie mir wohl nicht abnehmen?“
    „Ich habe Ihren ‚Festtagsgeist‘ gesehen. Er war ziemlich hochprozentig.“
    „Sie sind ein zäher Brocken, Desiree.“ Sanft legte er die Hände um ihr Gesicht und schaute ihr in die Augen.
    „Das musste ich sein. Mein Leben lang.“
    Roman stimmte ihr insgeheim zu. Nach allem, was er über Desirees Jugend und Kindheit wusste, war sie das typische arme, reiche Mädchen. Aber er wusste auch, dass sie kein Mitleid von ihm wollte.
    „Wenn Sie nicht kommen wollen, auch gut“, entgegnete er mit gespieltem Gleichmut. „Obwohl ich mich natürlich freuen

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