Seifenblasen kuesst man nicht
bis zum letzten Tag ⦠am Bahnhof.«
Jasmin verschränkte die Arme. In ihren Augen blitzte für einen Moment Verwirrung auf.
»Stimmt das? Oder verarschst du mich? Ist das jetzt die Fortsetzung deiner Rühr-Geschichte, damit auch der Letzte da drin zum Taschentuch greift?« Ihre Stimme veränderte sich, wurde piepsig-gehässig. »Ich tanze heute für Jasper, damit er seine OP schafft, und wenn ihr mich nicht weiterlasst, ist das so böse wie kleine Katzen treten!«
Noch eine SMS . Coralies Hände zitterten, als sie sie öffnete. Tränen traten in ihre Augen, die Buchstaben verschwammen. Sie wischte sie weg und las, was Laura ihr noch aus der Intensivstation mitteilte. Dann sah sie hoch zu Jasmin.
»Die OP ist gefährlich. Keiner weiÃ, ob er sie überlebt. Bevor er in letzter Sekunde in den OP geschoben wurde, hat er dem Lied noch einen Titel gegeben. Eine Art Widmung.«
»Oh, da sind wir aber gespannt. Etwa: Für alle, die jetzt noch nicht heulen?«
»Für Jasmin.«
Jasmin legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Oh Mann, das ist echt der Hammer. Das ist unglaublich! Für mich? Vielen Dank! Das wird die Jury um den Verstand bringen. Jasmin, das Mädchen aus der U-Bahn â¦Â«
Sie brach ab. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Coralie konnte sehen, wie der Hochmut, die Verachtung, die Gehässigkeit, wie all diese Empfindungen von Jasmins Gesicht verschwanden. Es war fast so, als ob das Schicksal einen Waschlappen genommen hätte und damit eine Schicht nach der anderen darunter freilegen würde. Verwirrung. Erstaunen kam jetzt. Dann Ungläubigkeit. Erschrecken. Erkenntnis.
Jasmin wankte. Sie wurde totenbleich, und für einen Moment befürchtete Coralie, sie würde in Ohnmacht fallen.
Coralie sprang auf. »Setz dich. Setz dich hin. Willst du einen Schluck Wasser?«
Jasmin schüttelte den Kopf wie in Trance. »Was ist das? Was für ein Spiel spielst du mit mir? Willst du mich so ausknocken? Dann gratuliere ich dir. Ich habe selten das Gefühl, den Boden unter den FüÃen zu verlieren. Euch ist das gelungen. Dir und ⦠Jasper.«
Coralie setzte sich neben sie. »Sag das nicht. Er kämpft gerade um sein Leben.«
»Das ist nicht wahr.« Jasmin flüsterte. »Das ist nicht wahr!«
»Du hast ihn gekannt?«
Jasmin drehte blitzschnell den Kopf weg. »Nein! Ich ⦠Ich bin mal jemandem begegnet. Frühmorgens. Aber ⦠das kann er unmöglich sein.«
»Das war er.«
»Unmöglich! Es war doch gar nichts. So bedeutungslos. Ich war völlig dicht. Zugedröhnt. Wusste gar nicht mehr, wo oben und unten ist. Ich hab in die Bahn gekotzt, glaube ich ⦠Sonst hat David mich immer abgeholt, wenn ich so zu war. Hat mir den Kopf gewaschen und mich nach Hause gebracht, fahren konnte ich ja nicht mehr. Da ist er klasse. Er lässt einen nie in der ScheiÃe sitzen. Nie.«
Jasmin zog die Nase hoch. Coralie griff in ihre Tasche und reichte ihr ein Tempo. Es tat ihr weh, Davids Namen zu hören.
»Aber in der Nacht, da war er nicht da. Er war in irgendeinem Trainingslager oder so. Ich weià gar nicht, wie ich den Weg geschafft habe. Ich musste mich hinsetzen, und da ⦠Da saà einer und spielte Gitarre und sang grässliche Lieder. So ein Schluffi. Ein komischer Typ. Der kannte mich doch gar nicht. Der hat mich doch gar nicht richtig angesehen.«
Sie brach ab. Coralie stellte den Lautsprecher ihres Smartphones an. Noch einmal erklang Jaspers Stimme.
» Sie ist der schönste Mensch, den ich je gesehen habe. Nicht nur von auÃen, auch von innen. Sie zeigt es nicht vielen. Sie muss oft verletzt worden sein. Sie trägt einen Panzer aus Eitelkeit und schönem Schein. Aber ⦠aber darunter schimmert es, und ihre Seele ist, wie wenn die Morgensonne das Wasser küsst .«
Jasmin schüttelte den Kopf. »Was? Was sagt er da?«
»Wie wenn die Morgensonne das Wasser küsst.« Coralie sagte das leise und wunderte sich, dass sie diesen Moment, in dem Jasmin mit einem Mal so verwundbar schien, nicht ausnutzte. Dass sie sich nicht lustig machte über sie. Den Spieà einfach mal umdrehte. Du bist nicht so, dachte sie. Und dieser Gedanke machte sie trotz allem Unglück auf einmal leicht und froh. Du bist vielleicht manchmal zickig und hast deinen eigenen Kopf, aber wenn es hart auf hart kommt, dann bist du so, wie du gerne sein
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