Sein anderes Gesicht
die Kehle mit einem Messer aufgeschlitzt und unsere Marlene ihn gerettet haben, indem sie ihm einen Druckverband anlegte, bis der Krankenwagen kam.«
»Ein hübsches Märchen.«
»Meinst du?«
»Na ja. He! Sieh mal, hier ist ein Fotoalbum. Ich glaube der dicke Tahitianer da, das ist deine Maeva.«
»Zeig mal . Ah, ja, du hast Recht. Und hier das neue Outfit. Exit Raymond Makatea, hallo, Tag, Maeva … Eigenartig, einen Catcher im Minirock zu sehen«, fügt Mossa hinzu, »aber ihre Freier liebten sie. Eines Abends, während einer Kontrolle, kam ein Lastwagenfahrer - ein wahrer Hüne - zu mir, um mir zu sagen, ich sei ein Blödmann.«
»Ja-ja-ja, aber all das bringt uns nicht weiter. Ach, ist das nicht Bo?«
»Ja, und daneben, das ist ein Transsexueller namens Stephanie. Großer Busen, großer Schwanz, sehr begehrt.«
»Und Ancelin? Hat sich der eigentlich operieren lassen?«, fragt der Pastor.
Komisch, mit anzuhören, wie sie über mich reden, als wäre ich nicht da.
»Nein, noch nicht«, antwortet Mossa, und ich höre, wie er in dem Album blättert.
»Was hältst du von ihm?«, erkundigt sich die kalte Stimme des Pastors.
»Von Bo? Kannst du dir vorstellen, wie er Maeva tötet, die eineinhalb Tonnen mehr wiegt als er? Und außerdem, warum? Kannst du dir vorstellen, wie er nachts mit einem Hackbeil durch die Gegend läuft und Huren auflauert? Und Bo wusste, dass Jesus ein Mann war. Wenn also unsere Theorie stimmt, hatte er keinen Grund, ihn anzugreifen.«
Der Pastor seufzt und beharrt:
»Ja, aber wenn man davon ausgeht, dass es zwei verschiedene Mörder waren, könnte man sich vorstellen, dass Bo mit dem Tahitianer eine Rechnung zu begleichen hatte. Makatea hatte ihm vielleicht Geld geliehen, und er wollte es nicht zurückgeben. Oder ihm den Freund ausgespannt . Ich weiß nicht, aber es gibt immer Gründe, jemanden zu hassen. Und dann sind da noch die berüchtigten Ersparnisse. Woher sollen wir wissen, ob er sie nicht hier versteckt hat?«
»Das ist sogar sicher«, stimmt Mossa ihm zu. »Maeva hasste es, in die Stadt zu gehen. Ich kann sie mir nur schlecht am Bankschalter vorstellen. Ja, vielleicht sollte man diese Theorie weiter verfolgen. Denn ich nehme an, es handelte sich um einen ordentlichen Batzen . Und in letzter Zeit schien sie bedrückt.«
»Bedrückt?«
»Sie schien Sorgen zu haben. Zunächst habe ich nicht weiter darauf geachtet, aber jetzt fällt es mir wieder ein«, erklärt Mossa. »Sie hatte Ärger mit einem Kerl …«
»Einem Zuhälter?«
»Nein, nein. Eine Familiengeschichte, oder ich weiß nicht, was, sie wollte es nicht sagen.«
Durch einen Spalt im Vorhang sehe ich, wie sie vor den Buchstaben an der Wand hocken.
»Was haben die ersten Untersuchungen ergeben?«
»Nichts«, antwortet der Pastor seufzend. »Kein Sperma, kein Speichel, keine Fingerabdrücke, keine Haare, keine Hautfetzen unter den Nägeln des Opfers. Dasselbe gilt für die DNS-Analyse. Der Mann trug Plastikhandschuhe. Und es regnete, also ist es wahrscheinlich, dass er Regenkleidung anhatte, die er, den Spuren nach zu urteilen, nur in der Badewanne abzuwaschen brauchte.«
»Also ist es zu neunundneunzig Prozent sicher, dass der Mord an Maeva geplant war«, schlussfolgert Mossa.
»Und ein Prozent spricht dafür, dass sich der Mörder im Opfer geirrt hat oder dass er irgendjemanden töten wollte, egal, wen«, hebt der Pastor hervor.
All diese Informationen speichere ich in meinem Gehirn. Mossa hockt noch immer vor den Buchstaben. Er erhebt sich, streckt sich und seine Finger berühren fast die Decke.
»Ich verstehe das alles nicht. Erinnerst du dich an den Mann, der vor vier Jahren drei Strichmädchen erschossen hat, weil seine Frau ihn verlassen hatte und er sich am weiblichen Geschlecht rächen wollte?«
»Ja, ich habe den Fall damals bearbeitet. Denkst du an eine psychologische Störung dieser Art?«
»Du bist der Spezialist, Luther. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, ob wir einen Mörder suchen oder zwei.«
Sie gehen zum Ausgang. Luther schiebt ein Bündel handgeschriebener Notizen in einen Plastikbeutel. Die Tür schließt sich. Vorsichtshalber warte ich fünf Minuten, dann gehe ich zurück in die Wohnung, mein Herz rast noch immer. Offenbar halten sie alle Hypothesen für möglich.
Ich stehe im Zimmer und versuche, das Gehörte zu begreifen. Und plötzlich erinnere ich mich, wie Maeva mir sagte, sie habe den Mörder von Jesus gesehen, einen Typen mit einer Kapuzenjacke.
Das wäre eine Erklärung
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